Nordosten 2022

Rum und Rommé       

Zweiter Versuch eines Tagebuch-Eintrages zum heutigen Tag. Ich bin wohl etwas abgeschweift. Mitten in der Nacht ist der Landcruiser mit unseren Expeditionsteilnehmern zurückgekommen. Offenbar haben sie ein paar Zebus, die auf dem Campground ein Nickerchen halten wollten, aufgescheucht. Es muht aufgeregt durchs Camp. Und offenbar gibt es noch ein spätes Nachtmahl, denn danach klappert Geschirr.

Ich schlafe heute aus. Das bedeutet, dass ich um Viertel vor Sechs schon im Camp herumschleiche. Markus ist auch schon wach. Wir warten aufs Frühstück, das heute lange auf sich warten lässt. Ein feiner Nieselregen fällt. Frank und Lars berichten, dass es tatsächlich gestern nicht weit bis Benara war. Allerdings tauchte ein ortskundiger Guide erst nach Einbruch der Dunkelheit auf, was den Aufstieg deutlich erschwerte. Sie kamen wohl nur bis zu den ersten Ausläufern des Regenwaldes auf 400 m Höhe, aber nicht weiter nach oben. Vielleicht ergibt sich zu einem anderen Zeitpunkt mal eine Gelegenheit, den Wald zu erforschen – spannend genug wäre es sicher. Ich bin ein bisschen beruhigt, nicht mit auf der Kletterpartie gewesen zu sein, wenn es keine Chamäleons dafür gab.

Den Vormittag verbringe ich mit Theta-Aufnahmen im Wald. Also, eigentlich habe ich das zumindest vor. Erstmal hält mich jedoch eine schlanke Mahafalynatter vom Losgehen ab, die fotografiert werden will. Und dann gibt es noch eine skurrile, dicke Phasmide, die ich aus dem Gebüsch pflücke, während auf Juttas Zelt noch eine haarige Raupe spazieren geht. Auch der nächste Versuch scheitert. Ich kehre nach wenigen Minuten wieder um, weil die Stechmücken meine kurzen Hosen äußerst praktisch finden. Ich weniger. Also laufe ich zurück zum Camp und ziehe lange Hosen an.

Dann versuche ich es ein weiteres Mal. Der Weg in den Trockenwald ist nicht zu verfehlen und dank sehr weniger Abzweigungen kann man sich kaum verlaufen. Der Latertitpfad führt zwischen Unmengen herumliegender Felsen und Steine erst länger geradeaus, dann leicht nach oben und um eine Kurve. Ein Goldkronensifaka ruht weit oben in einem Baum, er stört sich nicht an mir. An manchen Stelle summt es extrem – winzige, aber schon sehr geschäftig besuchte Wespennester hängen an Lianen und herunterhängenden Ästen. Ein Baobab, nur zu erkennen an seinem riesenhaften Stammumfang in Mitten der schmalen Bäumchen, steht mitten im Wald an einem ausgetrockneten Bachbett.  Ein paar Meter weiter findet sich eine Gruppe Cyphostemma – oberirdisch dünne, rankende Pflänzchen, die jedoch in einem riesenhaften, kugeligen Wurzelteil enden, der als Wasserspeicher dient. Ein paar kleine Blattschwanzgeckos sitzen hervorragend getarnt an dünnen Ästen. Dabei lerne ich die Unterscheidung zwischen Uroplatus fetsy und Uroplatus ebenaui kennen. Erstere haben zahlreiche Hautanhängsel, zweitere nicht. Und die Maulschleimhaut ist völlig unterschiedlich – aber man kann ja nicht jedem Gecko ins Maul schauen. Irgendwann schlendere ich gemütlich wieder in Richtung Campground.

Uroplatus fetsy

Den Rest des Tages verbringe ich mit Nichtstun und Geselligkeit. Mika betätigt sich bereits kurz nach dem Mittagessen als Rum-Beauftragter. In einer sehr langen Zeremonie presst er grüne Zitronen (nein, es sind keine Limetten) aus, dann beginnt das große Mischen: Wilder Honig wird aus einer riesigen 1,5 l Eau-Vive-Flasche in den Zitronensaft geschüttet. Dann wird die Flasche intensiv geschüttelt. Dzama Rum wird dazu gegossen. Eine Probe des Gemischs wird in eine kleine Blechtasse gegossen und probiert. Dann beginnt das Umschütten, Hin- und Herschütten von vorne. Zwischen mindestens vier Plastikflaschen wird das Gebräu hunderte Male hin- und hergeschüttet. Die Zubereitung eines guten Rums will schließlich Weile haben. Mika verbringt damit mehrere Stunden.

Der Rum steht am späten Nachmittag endlich fertig auf dem Tisch. Dazu holen die Jungs Rommé-Karten heraus. Martin und ich schauen erst José über die Schulter. Die madagassischen Extra-Regeln sind sehr interessant. Es wird um kleine Geldscheine gespielt. Wer eine Reihe hat, bekommt einen Bonus, und wer eine bestimmte Kartenfolge zuerst beisammen hat, einen anderen. Schließlich steigen wir ins Spiel ein. Dabei fällt mir ein, dass ich noch „alte“ Ariary habe – inzwischen wurden die Banknoten getauscht. In Antananarivo kann man sie noch umtauschen, aber nicht mehr im normalen Zahlungsverkehr an Ständen, in Restaurants oder Hotels verwenden. Mein Einsatz besteht also mehrfach aus alten 2000 Ariary-Scheinen. Immerhin werde ich die bei der Gelegenheit gleich mal los. Dimby ist damit in guter Gesellschaft, ihm habe ich schon einen 5000 Ariary-Schein versehentlich angedreht – da wusste ich nicht, dass man sie nur umständlich eintauschen kann. Mamy entdeckt die alten Scheine als erstes – und lacht sich jedes Mal kaputt, wenn ein neuer auftaucht (und ich habe noch erstaunlich viele).

Es wird eine sehr feucht-fröhliche und sehr lustige Runde. José hilft immer mal, wenn wir Vazaha am Tisch die Regeln zu unseren Gunsten nicht verstehen. Wir spielen wirklich lange. Am Anfang ziemlich erfolgreich, zum Ende hin sitzt vor allem Nany vor größeren Mengen an Scheinen. Mamy, Mika und Gris sind eher ausgeglichene Gegner, sie gewinnen und verlieren wechselnd. Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Die Aye-Aye-Nachtwanderung, die wohl eher gerannt als gewandert wird, geht an mir vorbei, was nicht zuletzt an einem beachtlichen Rum-Pegel liegt. Vielleicht ist der auch am sinkenden Rommé-Glück schuld, man weiß es nicht. Gegessen wird auch eher nebenbei – es gibt einen Salat aus einem merkwürdigen gelben Obst, das als deftiger Salat mit Salz und Zwiebeln tatsächlich besser schmeckt als pur.


Eine gute Nachricht zum Abend: Es gibt ein neues Klohäuschen. Eines der halb verfallenen Bungalows wurde reaktiviert und zur neuen Toilette auserkoren. Der Boden des Bungalows ist etwas löchrig, man kann an vielen Stellen auf den trockenen Erdboden sehen. Die Bastmatten, die zu besseren Zeiten mal die Innenseite des Daches ausgekleidet haben, haben riesige Stockflecken. Drei große Eimer Wasser stehen neben der Kloschüssel, die noch ganz in Ordnung ist. Im Abzug sitzt eine Schnecke mit einem fast handgroßen Gehäuse. Das ist immerhin auch keine schlechtere Gesellschaft im Vergleich zu neugierigen Zebus.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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