Als es hell wird, befinde ich mich zumindest schonmal in greifbarer Nähe Madagaskars. Dank Air Madagascar habe ich einen Tag länger in Paris verbracht, denn vor einer Woche wurde der Flug einfach gestrichen. Ersatzlos. Mein Flug nach Paris war allerdings nicht umbuchbar, also versprach Air Madagascar, mich und die anderen der Gruppe für die Nacht in einem Hotel am Flughafen Charles de Gaulles unterzubringen. Naja, was soll ich sagen – mit locker 30 kg Gepäck pro Nase wandelten Thorsten, Stefan, Björn, Thomas und ich also gestern zum Ibis-Hotel, um dann dort zu erfahren, dass das Hotel leider so von gar nichts wusste. Diverse Stunden, viele Telefonate und hitzige Diskussionen später konnten wir dann aber doch unsere Zimmer beziehen. Deshalb sind wir also erst gestern Abend losgeflogen anstatt vorgestern, weshalb ich jetzt immernoch im Flieger sitze anstatt entspannt im Raphia zu frühstücken. An dieser Stelle ein kleiner Tipp im Voraus: Nicht mit Air Madagascar fliegen ist das Beste, was man auf dem Weg nach Madagaskar tun kann! Innerhalb Madagaskars hat man leider keine Wahl.
Geschlafen habe ich mal wieder so gut wie nicht. Die engen Sitze der ausgemusterten Air-France-Maschine (dicker als ich darf man nicht sein und selbst mit meinen 1,65 m stößt man fast mit den Knien an den Vordersitz) haben diesen Zustand nicht verbessert. Und bei den zerkratzten Mini-Displays, auf denen man auf Langstreckenflügen gerne mal Filme oder Musikvideos anschauen kann, war ich schon froh, wenn nach hundertfachem Drücken die Flugstrecke ab und zu angezeigt wurde.
Gegen halb Neun landet der Flieger in Antananarivo. Sonst gehöre ich eigentlich nie zu den Leuten, die aufstürzen, sobald der Flieger sich annähernd in Parkposition befindet (man munkelt, die ersten zehn bekommen Törtchen). Heute aber bin ich der allererste an der Tür – ich habe eine knappe Stunde, um mein Gepäck abzuholen, mein Visum zu bekommen, Geld zu wechseln und für den Flug nach Sambava einzuchecken. Wenn ich daran denke, wie lange das Ausstellen eines Visums letztes Jahr gedauert hat, ist Eile also mehr als angebracht. Kaum ist die Tür offen, renne ich quasi die Treppe herunter und auf das Flughafengebäude mit seinen drei Dreiecken auf dem Dach zu. Zu meiner Verwunderung ist tatsächlich kaum jemand vor mir, und ich bin völlig platt, als das Ausstellen meines Visums weniger als drei Minuten dauert. Drei Minuten! Knapp! Und nur zwei Leute hatten meinen Reisepass in der Hand! Was ist denn heute in die madagassischen Angestellten gefahren? Ich laufe weiter zum Gepäckband, und offensichtlich habe ich eine Glückssträhne – mein Rucksack fährt gerade schon auf dem Band in meine Richtung. Ich schnappe mir einen Kofferkuli, werfe mein Gepäck darauf und steuere durch den Zoll nach draußen, wo Dimby und Daddy schon warten. Mr. Big ist in unserem Hyundai-Bus am Ende des Parkplatzes zum Geld wechseln, und als ich von dort zurückkomme erfahre ich dann auch, dass das Visum falsch ausgestellt wurde. Es steht 2013 drin statt 2014. Also noch einmal ruckwärts durch den Zoll, ich bin offensichtlich nicht der Erste mit diesem Problem heute. Und sie sind bei der Abfertigung – ganz ohne Ironie – heute wirklich schnell, auch der neue Stempel braucht keine fünf Minuten.
Letztlich klappt das Umsteigen zwar gestresst, aber problemlos. Die ATR, die uns nach Sambava bringen soll, existiert leider nicht. Stattdessen fliegen wir nun nach Antsiranana (Diego Suarez) und von dort aus weiter nach Sambava. Ich nehme es leicht genervt so hin, eigentlich möchte ich einfach nur irgendwann im Laufe des Tages ankommen. Zwei Stunden dauert der Flug an den nördlichsten Zipfel der Insel. Die freundliche Stewardess weist uns nach der Landung darauf hin, bitte im Flieger sitzen zu bleiben, die übrigen Fahrgäste würden gleich zusteigen. „Gleich“ ist allerdings sehr schwammig formuliert. Über eine geschlagene Stunde verbringen wir alle zusammen im Flieger. Meine Reisegruppe habe ich übrigens schon gestern in Paris kennengelernt: Ein Schweizer namens Frank, zwei Österreicher – Markus und Sonja, ein älteres Ehepaar, ein Lehrer namens Thomas sowie – die kenne ich schon – Tanala, Björn und Stefan. Eine Stunde lang herrscht mehrheitlich Schweigen im stehenden Flieger. Die Außentemperatur beträgt über 30°C, es ist keinerlei Klimaanlage an und der Flieger steht natürlich in der brütenden Hitze. Die Luft ist zum Schneiden, und zur Krönung hat eine korpulente madagassische Dame offensichtlich einen sehr geruchsintensiven Käse in ihrer pinken Basttasche dabei, dessen Duft sich von Minute zu Minute steigert. Nach einer langen Ewigkeit steigen die Neuen zu, und die ATR erhebt sich erneut in die Luft. Ich bin erleichtert, denn mehr Flüge stehen heute hoffentlich nicht mehr auf dem Plan. Müde schaue ich aus dem Fenster und beobachte, wir wir über der Bucht von Antsiranana drehen und entlang der Ostküste unser Ziel anpeilen. Wir überfliegen eine riesige Palmenplantage. Von oben ist nichts zu sehen außer Kokospalmen. Irgendwie erschreckend, was lebt wohl noch in einer derart riesigen Monokultur? Tanala sagt, es sei die größte Madagaskars.
Endlich sind wir in Sambava. Die kleine ATR landet ruppig – eigentlich fällt sie eher wie ein nasser Sack Reis auf die Landebahn. Dass da ab und zu mal Fahrgestelle zu Bruch gehen, wundert mich nicht. Endlich raus aus der stickigen Luft! Die Tür geht auf und über eine steile, kurze Treppe steige ich direkt auf das Rollfeld. Direkt vor mir steht eine riesige Blechhütte, das Flughafengebäude selbst ist immerhin aus Stein, viereckig-klobig mit Flachdach und weiß. Da irgendein hochrangiger Besuch mitgeflogen ist (haben wir am Ende wegen dem solange in Antsiranana gewartet?), steht eine Gruppe lauthals singender Einheimischer in heller Kleidung am Rande des Rollfelds. Die Hitze hier ist unvorstellbar. Angeblich 32°C bei definitiv über 85% Luftfeuchtigkeit und strahlend blauem Himmel.
Schwitzend erreiche ich das winzige Gebäude, in dem es genau ein kleines Kofferband gibt, das anstatt im Kreis zu laufen einfach in der Mitte endet. Es funktioniert sogar. Zuvor steht das Gepäck aber erstmal einige Zeit gemütlich auf einem Holzhänger mitten auf dem Rollfeld. In der brütenden Hitze. In der kleinen Halle ist es laut und heiß. Eine Unmenge Schaulustiger und gleichfalls Unmengen Taxifahrer auf der Suche nach neuen Gästen drängeln sich an den offenen Fenstern und den kniehohen Tür-Holzgattern. Drei Männer mit gelben Warnwesten sorgen dafür, dass nicht mehr Leute herein- als herausdrängeln. Nach und nach finden sich alle Fluggäste in der Halle ein, und nun wird es wirklich eng hier.
Irgendwann, immernoch untermalt von den Gesängen der Frauen draußen, taucht mein Gepäck wieder in Sichtweite auf. Per Hand zieht ein Angestellter in orangener Warnweste den Holzhänger vor die Halle. Unterdessen lerne ich Mosesy am Fenster kennen, er wird unser Guide für die nächsten Tage sein. Ein kleiner, älterer Mann mit freundlichem Gesicht und großen Augen. Die Rucksäcke und Taschen kommen auf das Band, und wer schwer beladen nach draußen gehen möchte, muss erstmal sein Flugticket vorzeigen – denn ohne langwierigen Vergleich der aufgeklebten Gepäcknummer mit der am Gepäck angebrachten geht hier nichts raus.
Mosesy führt meine Gruppe und mich zum Bus gegenüber des Gebäudes, der uns durch Sambava und zum Hotel fahren soll. Endlich bin ich wieder in Madagaskar! Erst auf der Straße kommen die Erinnerungen zurück. In selbst gebastelten Blech- und Holzhütten am Straßenrand werden Bananen und Orangen angeboten, genauso wie selbstgeflochtene Taschen und Möbel aus Tropenholz. Zu Hause könnte man die großen Himmelbetten aus dunklem Massivholz vermutlich gar nicht bezahlen. Ich lasse mir den Fahrtwind um die Nase wehen und genieße die stickige Luft, das gute Wetter und das Gewusel an Menschen um uns herum.
Nach nicht einmal einer Viertelstunde biegen wir auf beigen Kies in einen Hof ein. Das Hotel heißt „Chez Mimi“ und ist sehr hübsch angelegt. Zur linken stehen etliche doppelgeschossige Bungalows mit kleinen Vorgärten, zur rechten die Familienbungalows und geradeaus befindet sich eine kleine Holzveranda mit Palmenblattdach. Genau dort bestelle ich erstmal mein erstes THB des Urlaub und ruhe mich einfach mal aus. Die Ruhe währt nicht lange, denn schon nach wenigen Minuten entdecke ich die ersten Taggeckos, die flink über das dunkle Holz flitzen. Das muss fotografiert werden! Nach vielen Fotos will ich Tanalas und mein Bungalow anschauen, es ist Nummer 9. Auch dazu komme ich nicht – direkt vor der Tür krabbelt, genau vor meiner Nase, ein kleines niedliches Furcifer pardalis-Weibchen aus der Blumenrabatte. Ich laufe sofort zurück und hole die Kamera. Kaum habe ich ein paar Fotos geschossen, wippt es links der kleinen rosa Dame im Gebüsch. Ein großes, makelloses Pantherchamäleon-Männchen sitzt dort und lässt sich bereitwillig fotografieren. Umsetzen lassen möchte er sich aber nur ungern, also muss ein Ast aushelfen, um den Herren etwas fotogener zu platzieren. Irgenwann findet diese erste Fotosession ihr Ende und nach einem weiteren eiskalten THB finden sich alle zum Abendessen im zum Hotel gehörigen Restaurant an der Straße ein.
Ich bestelle ein Steak panné, ein Genuss! Das Fleisch muss wirklich geprügelt worden sein, dass es jetzt so weich ist. Wir gehen noch die letzten Instruktionen für morgen durch, dann geht es schnell unter die kalte Dusche und ab ins Bett. Der Ventilator leistet bei immernoch 29 Grad reichlich wenig Arbeit. Leise keckernde Geckos und umso lauter zirpende Zikaden wiegen mich in den Schlaf.