Ich habe grandios erholsam geschlafen. Um halb sechs schon kräht – gefühlt direkt neben dem Bett – ein Hahn laut und ausgiebig. In das Morgenkonzert mischt sich das Gebell einiger Hunde, die sich entweder gerade prügeln oder gerade einen ungebetenen Gast entdeckt haben. Gegen sieben Uhr steige ich aus dem Bett, die Matratze ist im Gegensatz zu Sambava geradezu ein Wellnessbereich. Für große Menschen ist sie aber nicht gemacht, denn ich erreiche mit mein 1,65 m ohne die Arme auszustrecken sowohl das Kopf- als auch das Fußende des Bettes. Der achtbeinige Besucher von gestern ist wieder an seinem angestammmten Platz im Bad, und wieder lässt er sich zumindest leicht an seinen Zweitplatz außer Sichtweite vertreiben. Angenehmer wird das Tierchen nicht.
Zum Frühstück reichen die weiß beschürzten Mädchen des Hauses einen orangenen Saft, den ich irrtümlich als sehr hellen Orangensaft interpretiere. Schmeckt aber eher nach Melone und ich erfahre nebenbei, dass jus naturelle so ziemlich aus jedem Obst hergestellt werden kann, das gerade Saison hat. Der Fluss hat durch die Nähe zum Meer gerade Ebbe und mittendrin ist er so niedrig, dass einige Fischer durch das nicht mal mehr knietiefe Wasser waten, um ihre ausgelegten Reusen zu kontrollieren.
Heute muss erneut das Gepäck abgespeckt werden: Nur Kleidung, die wir auf Nosy Mangabe auch brauchen, dürfen mit in den roten Seesack. Ich sortiere großzügig aus, wer braucht schon mehr als eine Hose? Patrick ist derweil bei Air Madagascar, um die Flüge in ein paar Tagen abzusichern. Unsere Motorboote warten direkt am (frisch reparierten) Anleger des Hotels. Mit einem monotonen Klonk-Klonk-Klonk schwanken sie in der Strömung. Inklusive der gestern vor dem Abendessen bestellten Getränke! Und Klopapier. Es dauert eine Weile, bis alle nach und nach die Boote bestiegen haben. Schwimmwesten gibt es auch, es ist nur nicht für alle eine da – macht aber nichts, hier im Meer gibt es ja sowieso alle möglichen Arten von Haien. Sollte man also kentern, nutzen die Schwimmwesten vermutlich eh wenig. Wobei die Madagassen glaubwürdig versichern, hier hätte es noch nie Haie gegeben. Irgendwann legt das Motorboot ab und unser Fahrer lenkt uns unter der Brücke hindurch zum Hafen, wo wir links noch einmal halten. Madame Sandra, unsere Köchin für die nächsten Tage, fehlt noch. Langsam tuckern wir auf ein weiß-graues Boot am Anleger zu – und dotzen mit Schwung dagegen. Unser Fahrer springt in das andere Boot und von dort aus auf den hölzernen Steg, aber Madame Sandra kommt schon angelaufen. Ihre Küchenhilfe, ein junges schüchternes Mädchen, hat sie gleich mitgebracht. Nur unser Guide Augustin fehlt noch! Während wir warten, kommt die Sonne raus und schlagartig wird es wirklich warm im Boot. Ich creme mich mit Sonnencreme ein – einen zweiten Sonnenbrand brauche ich nicht – und beobachte das Treiben im Hafen. Gegenüber liegt eine kleine Werft, in der ein größeres Schiff auf dem Trockendock liegt. Daneben befindet sich ein nicht sonderlich hoher, langer Zaun aus Bast, hinter dem eine ganze Schar Enten vor sich hin quaken. Eine madagassische Entenzucht? Nach einer Weile taucht Augustin auf und es kann losgehen.
Durch den Hafen fahren wir langsam auf’s Meer zu. Das Wasser ist hier stellenweise extrem niedrig, weshalb wir einen großen Bogen nach rechts auf einige bewohnte Strandausläufer zufahren und dann kurz vorher einen scharfen Schwenk nach links ins offene Meer machen. Nosy Mangabe liegt schon in Sichtweite direkt vor uns, eine komplett von Regenwald bewachsene, dunkelgrüne Insel mit einem relativ hohen Bergrücken. Das Boot nimmt Fahrt auf und wir passieren einge Gruppe von Fischern, die gemeinsam zwischen ihren Pirogen Netze auswerfen. Mit der Piroge braucht es gut eine Stunde bis hier hinaus, und die wackeligen schmalen Einbäume erklären mir auch, warum die Madagassen nicht an die hier vorkommenden Haie glauben. Besser ist das…
Das aufspritzende Wasser ist warm und benetzt mein Gesicht. Eine Weile fahren wir entlang der Küste Nosy Mangabes entlang, dann biegen wir in eine Bucht ein und fahren direkt auf einen schmalen Strand zu. Um ehrlich zu sein, eigentlich ist gar kein Strand da. Vielleicht 20 cm goldfarbenen Sand sehe ich, dahinter ist direkt Regenwald. Jean-Emil, einer unserer Guides, ein drahtiger kleiner Kerl, wirft den Anker aus und das Boot landet langsam rückwärts am Ufer an. Nach und nach springen alle aus dem Boot ins wadentiefe, warme Meerwasser. Ich laufe ein paar Meter und stehe direkt vor dem Begrüßungsschild der Insel, und damit auch auf der Hauptlichtung, von der die Wanderwege abgehen. Hinter der Lichtung befindet sich ein langgezogenes, kleines Haus, in dem Küche und „Verwaltung“ untergebracht sind. Links führt ein Weg zu Toiletten und Duschen, rechts geht, nur von Gestrüpp vom Ufer entfernt, ein schmaler Pfad parallel zum Strand. Er führt entlang einiger Hütten, oder zumindest etwas, das übrig ist davon. Es sind im Prinzip Hütten auf Stelzen mit Dach, aber ohne Wände. Einige abgeknipste Stromschalter an den Holzbalken zeugen davon, dass jemand hier mehr zu bauen vor hatte, aber offensichtlich daran gehindert wurde. Naja, jetzt jedenfalls kann man unter den Dächern wunderbar sein Zelt aufschlagen: Trocken, ein leichter Wind sorgt für frische Luft, um mich herum der Regenwald. Die Flut ist sehr hoch, sie reicht bis an die obere Kante des Strands und lässt kaum Sand übrig. Direkt auf den Wegen zu den Hütten finde ich viele fingerdicke Löcher, die von riesigen roten Schlupfwespen umflogen werden. Die sind wirklich ein bisschen unheimlich, zumal sie für ihre eigene Größe riesige Beutetiere in die Löcher schleppen.
Unter einer der ersten Hütten stehen Tische und Bänke sowie einige Stühle, und so wird diese Hütte zu unserem „Gemeinschaftsraum“. In kurzer Zeit hat Madame Sandra ein leckeres Mittagessen aus Gurkensalat, Thunfisch, Reis und zum Nachtisch Rhambutan gezaubert. Die stacheligen, rot-violetten Früchte sind am süßesten, wenn sie gerade schwarz werden. Könnte zu einer meiner Lieblings-Obst-Sorten avancieren. Sowas wird man zu Hause niemals im Handel finden, denn die wirklich leckeren Rhambutan würden sicherlich bei uns als faul weggeworfen. Einige grüne Orangen liegen auch auf den Tellern, und sie schmecken auch tatsächlich nach Orangen – auch wenn sie aussehen wie Zitronen. Die Küche – natürlich schaue ich mal rein – ist gar nicht mal so schlecht ausgestattet mit verschiedenen Feuerstellen und rudimentären Regalen, auch wenn die wie immer leer sind. Madame Sandra und ihre junge Hilfe, deren Namen ich mir leider nicht merken kann, schnibbeln Gemüse für’s Abendessen und lassen mich bereitwillig in die Töpfe lugen.
Gegen drei Uhr treffe ich mich mit den anderen zu einem kleinen Spaziergang entlang des Rundweges, der vorwiegend parallel zum Strand verläuft. Vorsichtshalber habe ich lange Hosen und das „durchstichsichere“ Hemd (hust) angezogen, denn Moskitos gibt es hier im Regenwald ohne Ende. Anti-Brumm habe ich auch schon reichlich auf mir verteilt. Wir laufen los und tauchen ein in den fantastischen Regenwald. Überall quakt es, das Meer rauscht und Insekten surren durch die Luft. Die Wege sind breit und völlig flach, viel bequemer kann man wohl kaum auf Reptiliensuche gehen. Schon nach wenigen hundert Metern bestätigt sich, dass Nosy Mangabe die „Insel der Blattschwanzgeckos“ ist: Mehrere Uroplaten finden wir am helllichten Tage, und das, obwohl sie platt an die Äste gedrückt wirklich verdammt gut getarnt sind. Auch von Fröschen wimmelt es nur so. Bunte Mantellen und winzige, braune spitznasige kleine Kerlchen springen überall im Laub herum.
Sogar Futterspuren eines Aye-Ayes finden wir direkt am Camp, ein mit den scharfen Zähnen in einen Stamm gebohrtes Loch mit einer sehr typischen Form. Nosy Mangabe wurde ursprünglich zum Schutz dieser faszinierenden Lemuren gegründet, aber sie hier zu sehen, ist kaum möglich. Erst Recht, seit durch das Treiben diverser sehr bekannter Nicht-Madagassen Nachtexkursionen in allen Nationalparks verboten wurden. An einem kleinen Stück Wald, wo vor allem eingeschleppter Bambus wächst, sind besonders viele Frösche unterwegs. Kurz dahinter tönt auf einmal ein lautes Geschrei durch den Wald. Es sind schwarz-weiße Varis, von denen es hier ein paar Gruppen gibt. Zu sehen bekommen wir sie nicht, aber ihr lautstarker Streit folgt uns eine ganze Weile am Ufer entlang.
Inzwischen wird es Zeit für die Ebbe, und der goldfarbene Strand wird sichtbar. Der Weg führt uns direkt an den Strand, bis zu ein paar zusammengezimmerten Hütten aus Baumstämmen und Ästen, in denen ein paar Fischer ihren Fang räuchern. Graue Rauchschwaden ziehen über den Strand. Die Fischer sind hier geduldet, eigentlich ist es aber nicht erlaubt, im Nationalpark (die Insel gehört zu Masoala) Hütten zu bauen. Barfuß laufe ich über den Strand und meine Füße sinken in den grobkörnigen Sand ein. Die Bäume des Regenwaldes reichen direkt an den Strand, und die riesigen Baumkronen hängen tief über den Sand herunter. Wenn Flut ist, stehen viele Bäume direkt im Wasser. Zu meiner Überraschung sind die Bäume direkt am Wasser die leichteste Möglichkeit, auf der Insel Furcifer pardalis zu sichten. Hier sind sie tief genug und es ist leichter, sie auf einzelnen Ästen zu finden. Da es schon bald dunkel wird, hat sich ein Männchen bereits zum Schlafen auf einen Ast zurückgezogen. Tolle Farben haben die Pantherchamäleons hier, ein wunderschönes Rot an Kopf, Brust und Bauch, das in sattes Grün ausläuft. Die gefallen mir richtig gut! Langsam trödele ich zurück, meiner Gruppe hinterher. Die Aussicht am Strand entlang über das Meer ist grandios.
Zurück im Camp besuche ich den kleinen Wasserfall, auf den ich schon die ganze Zeit neugierig war. Über eine kleine, patschnasse und dementsprechend glitschige Holzbrücke und eine aus Natursteinen gebastelte Treppe gelangt man zu einigen großen Felsen, an deren oberen Ende sich ein kräftiger Wasserfall ergießt. Ich halte meine Füße in das kühle Quellwasser und genieße den Regenwald um mich herum. Hier könnte ich gut bleiben. Doch schon wird es dunkel, oder vielmehr: Das Licht geht einfach aus. Es ist nicht wie in Europa, wo die Sonne ewig Zeit benötigt, um den Horizont zu erreichen. Hier wird es innerhalb von 15 Minuten zappenduster, und dazu gibt es keinerlei Lichtquellen in der Umgebung. Das heißt: Wo kein Mond hinscheint (und aktuell ist der Mond eine schmale Sichel), ist es rabenschwarze Nacht. Blöd, dass meine Stirnlampe kaputt ist. Zum Glück konnte mir Stefan eine kleine Taschenlampe als Ersatz leihen. Ich tapse durch das dicke Laub zum Abendessen, und passend zum Inselleben bekommen wir Crevetten serviert. Strom gibt es hier keinen, und so sitzen wir romantisch bei Kerzenlicht mitten im Regenwald. Schon kurze Zeit später treibt es die meisten in Richtung der Zelte. Ich bin auch müde, aber richtig. Die tolle frische Seeluft macht auch müde. Leider ist der Himmel immernoch bewölkt, und so bleibt mir heute keine Möglichkeit, den Sternenhimmel zu bewundern. Um unser Zelt, das Tanala liebevoll zum Luxusresort umgebaut hat (30 cm hohe Luftmatratze, mehrere aufgeklappte Schlafsäcke, dicke Kissen), fliegen einige Glühwürmchen. Sie leuchten witzig durch das Gebüsch, aber irgendwie scheinen sie einen Wackelkontakt zu haben. Ich kenne Glühwürmchen nur als ständig leuchtende kleine Punkte, diese hier aber blinken munter durch die Dunkelheit. Wahrscheinlich haben auch die ein Problem mit ihren Stromgeneratoren.