Ich werde um kurz nach Fünf von langem, ausdauerndem Hundegebell geweckt. Diesmal sind es keine Lemuren, und bestimmt zwanzig Minuten lang geht das Hörspiel mit Gezeter, Gebelle, Radau und Theater. Anscheinend streiten sich etliche Vierbeiner, entweder um ihre Reviere oder – wesentlich wahrscheinlicher – um Essensreste aus der Küche. Als ich aufstehe, empfängt mich draußen ein konstanter Nieselregen. Nach gut einer Stunde wird es trockener, und es ist Zeit, den Tag mit neuen Entdeckungen zu füllen. Die Indris rufen wieder lange, aber sie sind auch wieder sehr weit weg.
Mit der Gruppe von gestern fahre ich nach V.O.I.M.M.A. – das ist die Abkürzung eines kleinen, kommunal geführten Parks, der in Sichtweite des Bahnhofs von Andasibe liegt. Es ist ein kleines, aber sehr feines und relativ unberührtes Gelände entlang eines wenige Meter breiten, glasklaren und nicht mal hüfftiefen Flusses. Was genau die Abkürzung bedeutet, frage ich zwar mehrmals und bekomme jedesmal geduldig Antwort, aber letztendlich kann ich mir nur das A für Andasibe merken. Über einen kleinen Schotterweg rumpelt der Bus in eine Einfahrt, dann über eine Brücke und bis vor ein weißes, kleines Häuschen. Rechts auf dem leeren Schotterplatz steht eine schmale, aus Ästen und Brettern zusammengezimmerte Holzhütte, die verschiedene Souvenirs anbietet. Zwei Stufen führen zum Rundweg des Parks, den wir entlanggehen wollen. Es ist ein sehr schöner, schmaler Pfad quer durch den Regenwald, dann ein kurzes Stück entlang des Flusses.
Viele Tiere finden wir nicht, aber die Natur ist eigentlich genug. Mitten im Wald folgen wir einer Gruppe Indris. Drei Tiere sind es, die über uns durch die Baumwipfel springen. Sie bleiben kurz sitzen, beobachten die Menschen unter sich, knabbern ein wenig Grünzeug und verschwinden dann mit großen, fliegenden Sprüngen. Ein wunderschönes Calumma parsonii cristifer-Männchen entdecken wir noch, das wunderschöne große Nasenfortsätze und eine tolle türkise Farbe hat. Als der Wald lichter wird, finde ich Guaven, und natürlich probiere ich sie auch. Schmecken prima! Später versuchen wir uns noch im Fotografieren der vielen hübschen Libellen, die überall um uns herumkreisen. Die Flügel leuchten und glänzen in der Sonne, und ich versuche, die bunten Lichtreflexe mit der Kamera einzufangen. Auch ein Giraffenhalskäfer lässt sich im offenen Gelände blicken – letztes Jahr kamen mir die irgendwie größer vor.
Zurück vom Rundweg ist Christian mit dem Bus noch weit weg. Wir entschließen uns, statt zu warten einfach die Straße zu Fuß zurückzulaufen, es sind nur ein paar Kilometer. Außer einer plattgefahrenen Vogelspinne gibt es nicht allzuviel zu sehen. Am Parkeingang des Mitsinjo-Projektes tummeln sich Horden von lachenden Schulkindern. Ich hoffe, sie nehmen von hier viel mit und lernen ihre Natur zu schätzen, um sie später schützen zu können. Zurück am Hotel laufe ich erstmal noch weitere 300 m den Hang hinauf zu ein paar Obstständen. Ich möchte ein paar Guaven haben, nachdem ich gerade wieder auf den Geschmack gekommen bin. Der Ananaspreis verzehnfacht sich, als ich danach frage – wahrscheinlich habe ich es aber einfach nur falsch verstanden. Rund um den Stand und das kleine Truckerrestaurant dahinter tummeln sich bestimmt fünfzig Schulkinder. Sie waren heute im Nationalpark Analamazaotra unterwegs, in einem alten, gelben Bus sind sie vorhin winkend an uns vorbeigefahren.
Die Gruppe, die heute in Vohimana war, hatte mit den Tiersichtungen mehr Glück. Mehrere Furcifer bifidus haben sie gesehen, und die sind hier eigentlich recht schwer zu finden – aber ein paar Stunden Sonne am sonst wolkenverhangenen Himmel haben die Tiere zum Sonnenbaden auf exponierte Stellen gelockt. Naja, man kann nicht alles haben. Als Entschädigung gönne ich mir den leckeren Eukalyptus-Honig aus dem Restaurant, der immerhin satte 7000 Ariary kostet. Ein echter Touristenpreis für eine alte Ketchupflasche.
Am späten Nachmittag wird es immer kälter, beim Abendessen friere ich trotz Vliesjacke. Die feuchte Luft kriecht meine Arme hoch. Sehr früh gehe ich schlafen, es ist gerade mal kurz nach Acht. Der Abend klingt mit dem gleichen Gebell aus, mit dem der Tag angefangen hat. Wieder streiten sich irgendwelche Hunde, und der Lautstärke nach scheinen sie nicht wirklich weit weg zu sein. Ich schiebe meinen Kopf unter das Kissen. Hoffentlich halten die irgendwann mal die Klappe.