Heute habe ich schlecht geträumt. Macht aber nix, es ist Zeit zum Wandern. Der Himmel ist noch genauso trübe und bedeckt wie gestern. Ich packe zwei Flaschen Wasser für Isalo ein, man hat mir gesagt, es könnte heiß werden. Direkt hinter dem Hotel fahern wir mit dem Bus einen roten Lehmpfad nach unten. Rund zehn Kilometer rumpeln wir über den Weg, die Fahrt gestaltet sich mit dem Bus abenteuerlich. Riesige Löcher wollen umfahren werden, Fahrrinnen sind tief in den roten Boden gegraben. Ein paar steile Anstiege lassen mich den Atem kurz anhalten – aber Christian kriegt das schon hin. Die Fahrt führt immer weiter durch’s Zebugras, bis wir kurz vor dem beeindruckenden Gebirge von Isalo stehen. Irgendwo im Nirgendwo. Rund 50 Meter weiter fließt ein sehr flacher, kleiner Fluss. Von dort kommen auch sofort eine Menge Kinder angerannt, die sich leider als sehr aufdringlich erweisen. Sie versuchen, uns kleine Figuren aus Lehm zu verkaufen, die sie selbst geformt haben. Nur – wohin mit solchen Andenken, wenn man noch etliche Kilometer wandern will? Da keiner etwas kauft, rennen die Kinder uns einfach hinterher. Das erste Mal auf Madagaskar empfinde ich das als sehr nervig. Hier im Süden scheint aufdringliches Verkäufertum und aggressives Betteln wohl oft genug zu funktionieren. Wie anders sind die Menschen im Nordosten der Insel…
Der Weg nach Isalo führt erstmal durch das Kiesbett des flachen Flusses. Ein paar der Gruppe hangeln sich mit Hilfe der Guides über einen Baumstamm, der quer im Wasser liegt. Ein paar Frauen schrubben nebendran ihre Wäsche im Wasser. Das Wasser ist sauber, angenehm kühl und fließt recht schnell. Also ziehe ich einfach Schuhe und Socken aus und wate durch den Fluss. Schon direkt hinter dem Fluss wartet das erste Chamäleon, ein Furcifer oustaleti –Jungtier. Außerdem ein sehr scheues Furcifer major, was sich ständig hinter seinen Ast dreht. Im hohen Gras links und rechts des Weges finden sich unzählige Mantiden und deren Ootheken. Überhaupt sind sehr viele Insekten unterwegs, es ist ja noch das Ende der Regenzeit. Skurill aussehende Motten, orangefarbene Schmetterlinge und stachelige Raupen kann man mit geübtem Auge – oder mühseligem Suchen – im hohen Gras finden. Auch Christian ist mit seinen guten Augen längst fündig geworden. Er bringt uns ein riesiges Furcifer oustaleti voller Stolz vom Fluss. Das Tier ist bestimmt so lang wie mein Unterarm. Natürlich streikt ausgerechnet bei so einem „Brummer“ mal wieder meine Waage. Da muss noch eine bessere Lösung her.
Ein kleiner, sandiger Pfad führt in Richtung des Maki-Canyon, und wir folgen ihm in Richtung einiger Bäume und hohen Gebüschs. Doch schon nach wenigen Metern abermals ein Stopp: Eine wunderschöne Mahafaly-Natter kriecht gerade über den Sandpfad, und Rolande ist extrem bemüht, nahezu jedes Tier auch außerhalb des Trampelpfades zu finden. Die Natter ist äußerst freundlich, und wie die wenige Meter weiter gefundene Thamnosophis lateralis ein tolles Fotomotiv. Trotz des bedeckten Himmels ist es bereits richtig warm, und ich schwitze schon wie irre. Bereits jetzt zeigt das Thermometer 32°C an, und die Sonne ist noch nicht mal draußen. Die ersten beiden Stunden kommen wir keine 200 m weit, weil es einfach soviele Tiere zu bestaunen gibt. Der Schweiß läuft in Strömen. Es geht schließlich durch den schmalen Trockenwald in den Maki-Canyon, eine langgezogene Schlucht. Kaum haben wir die Schlucht betreten, ist es etliche Grad kühler. Ein sanfter Wind weht. Und die Schlucht wirkt im Gegensatz zur kargen Umgebung Isalos wahrhaft wie eine grüne Oase: Kleine, kristallklare Wasserläufe fließen durch Sandbetten, und sind umgeben von Felsen und unglaublich viel Grün.
Wasser läuft von moosigen Wänden, Farne wachsen am Rande des Bachs. Hier und da haben sich kleine, natürliche Pools gebildet. Man möchte direkt darin baden gehen! Kleine Sandstrände lassen die Schlucht wie ein verstecktes Paradies wirken. Mitten in der Schlucht begegnet uns ein Furcifer lateralis, das fast rosafarben ausschaut. Der Weg ist schmal, und führt über unzählige in den Felsen geschlagene Stufen und Sandpfade. Als ich eine Sandbank überquere, läuft auf einem grauen Ast ein riesiger, roter Tausenfüßler vorbei. Die Schlucht ist wirklich wunderschön. Je weiter wir hinein kommen, desto steiler ragen die Felswände über mir auf. Die Wände sind mit Farnen und Moosen bedeckt, der kleine Bach sprudelt gurgelnd zwischen den Felsen hervor. Irgendwo machen wir eine Pause an einem der kleinen Pools und halten die nackten Füße ins kühle Nass. Es ist Zeit für ein Picknick, das die Guides prima vorbereitet haben. Sogar eine Kühltruhe haben sie mitgeschleppt und reichen kühle Getränke daraus. Jeder bekommt ein Sandwich, meines ist dick mit Hackfleisch und Ei belegt. Dazu stecken in der Tüte zwei Bananen und eine kleine Packung Kekse – die Jungs haben sich echt Mühe gegeben.
Dann besuchen wir noch den ähnlich paradiesischen Ratten-Canyon. Wir folgen der Schlucht, es wird plötzlich merklich kühler. Die erhofften Larvensifakas halten sich heute leider nicht hier auf, dafür sehen wir einige Eulemur rufus in 20 m Entfernung vorbeispringen. Auf einmal ist klar, woher der Temperaturumschwung kommt: Nicht die Schlucht ist kühler, sondern das Wetter ist umgeschlagen. Es fängt an zu regnen. Innerhalb einer halben Stunde bin ich klatschnass. Die Trekkinghose klebt an den Beinen, die Schuhe quietschen. Rolande sagt, er kann uns schneller zum Bus bringen. Ich laufe ihm einfach hinterher. Regen tropft von meinen Haaren. Es geht querfeldein, gute fünf Kilometer über Reisfelder. Die Deiche dazwischen sind nur knappe 20 cm breit und bestehen aus Lehm, der nun vom Regen teils abgetragen wird. Da ich als letztes in der Gruppe laufe, sind die Deichränder auch schön ausgetreten. Mehr als einmal landet mein Fuß im Reisfeld. Teils steht die braune Reisfeld-Wasserbrühe bereits mitten auf dem „Weg“. Nach anderthalb Stunden Marsch durch Matsch und Regen erreichen ich und die anderen den Bus. Durch den Fluss laufe ich erneut barfuß, ist ja eh alles schon nass, und lasse die Schuhe gleich aus. Der Hügel auf der anderen Seite erweist sich jetzt als nahezu unüberwindbares Hindernis: Er besteht aus Lateriterde, die durch den Regen jetzt zu einer spiegelglatten Schlitterfläche wird. Ich brauche barfuß mehrere Anläufe, bis ich den klatschnassen Hügel erklimme. Und da bin ich nicht allein. Alle haben so ihre Mühe, auf dem spiegelglatten Boden überhaupt zu laufen. Mir schwant Übles, wenn ich an den Rückweg denke.
Es ist das erste Mal auf Madagaskar, dass ich Christian mit äußerst ernster Miene in seinem Bus sitzen sehe. Er ist ein erfahrener Fahrer, vielleicht einer der besten der Insel – aber das hier, das gefällt selbst ihm nicht. Er kennt den Boden gut und weiß, dass der Bus auf dem spiegelglatten Laterit keinen Halt finden wird. Schon beim Anfahren gibt es die ersten Probleme. Der kleine Hügel ist kaum zu befahren. Mehrfach rutscht der Bus einfach wieder zurück, schlingert zur Seite, nach vorne, nach hinten, wieder hin und her. Schließlich bespricht sich Christian mit den Guides und zieht eine ungewöhnliche Variante vor: Er lenkt den Bus vom glatten Lateritweg hinunter und fährt einfach querfeldein über das Zebugras. Mit einem Bus! Wieder schlingert der Bus, rutscht zurück, Christian fährt mit Schwung an und die Jungs schieben den Bus einfach weiter. Schließlich fährt der Bus, und die Guides joggen barfuß nebenher, um an sehr glatten, graslosen Stellen auszuhelfen. Der Bus rutscht und rutscht und rutscht. Nicht nur mir stehen Schweißperlen auf der Stirn. Gut zwei Kilometer geht es so weiter. Rolande erweist sich als äußerst fit – er kommt nicht mal beim Joggen auf Laterit groß aus der Puste. Einer der Jungs, die für das gute Picknick gesorgt haben, verliert im schlammigen Boden dauernd seine Schuhe und fällt fast hin, weil es so glatt ist. Schließlich zieht er die Flip-Flops doch aus und läuft barfuß wie die anderen.
Ein paar Kilometer weiter wird der Weg zum Glück etwas trockener. Nach zwei Stunden kommen wir im Hotel an. Christian hat inzwischen sein Grinsen wiedergefunden und nimmt die Busrutschkatastrophe mit Humor. Schließlich sind wir ja alle heil angekommen, daran hat er gar nicht gezweifelt. Eher daran, dass er am Ende seinen Bus zurücklassen und zu Fuß gehen muss.
Im Hotel springe ich erstmal unter die Dusche. In freudiger Erwartung drehe ich den Duschhahn auf – und dann tröpfelt es nur aus dem Schlauch. Nach einigem Probieren stelle ich fest, dass die Dusche trotz sehr großem Bad nur in der äußersten Ecke auf Schulterhöhe ganz gut funktioniert. Also dusche ich auf gefühlten zehn Quadratzentimetern, drumherum kommt kein Wasser. Das mit dem Wasserdruck ist auf Madagaskar einfach so eine Sache… Immerhin ist das Wasser warm. Auch das mit dem Boden scheint im Bad nicht so richtig durchdacht worden zu sein, denn das Wasser fließt statt zum Abfluss hin davon weg uns setzt das gesamte übrige Bad unter Wasser. Was soll’s, ist eh alles schon nass. Meine durchweichten Schuhe stehen zum Trocknen vor dem Bungalow.
Am Abend gehen wir Brochettes essen, 80 Stück haben Tanala und ich bestellt. Ich schaffe allerdings nur 30, aber die schmecken supergut. Ein niedliches Baby schreit die ganze Zeit durch. Wieder taucht Jonathan auf, wir nehmen ihn mit zum Hotel zurück und sitzen noch lange unter dem Dach vor dem Restaurant. Auf dem weiteren Weg werden wir ihm allerdings nicht begegnen, er bringt seine Gäste morgen nach Ifaty und fährt dann direkt nach Antananarivo zurück.