Es ist früh am Morgen. Der Nebel hängt tief über dem Regenwald, und ich sitze beim üblichen Zebu-Sandwich und einer Cola auf der Terrasse des Feon’ny Ala. Chrissi hat sich auch ein Zebu-Sandwich bestellt, Tanala nimmt eines „ohne Hecke“, also ohne Tomaten, Zwiebeln und Salat, und Ines schließt sich dem an. Rakoto liefert alles exakt wie bestellt an den Tisch, während im Wald die Indris singen. Sie scheinen gar nicht so weit weg zu sein, denn man hört sie relativ laut rufen. So kann der Tag ja nur gut starten.
Gemütlich gondeln wir später per Bus zum Park Office von Analamazaotra. Wir sind keinen Kilometer gefahren, als Christian stoppt. Direkt am Wegesrand spielen braune Makis (Eulemur fulvus) in einem niedrigen Gebüsch. Eine ganze Weile beobachten wir sie, oder sie uns, wer weiß das schon so genau.
Die erste Gruppe steigt in Analamazaotra aus, und während die Tickets organisiert werden, schaut meine Gruppe sich in den Büschen vor dem Park Office ein wenig um. Direkt gegenüber dem Eingang findet sich ein junges Calumma parsonii cristifer, das sich als enorm fotogen erweist. Und enorm niedlich! Dann rufen Christian und Rapha zum Aufbruch, und wir fahren nur ein, zwei Kilometer weiter zu Mitsinjo, einem kleinen, nichtstaatlichen Reservat. Ein gelb-grün angemaltes Holzhaus mit Bananenblätterdach begrüßt uns. Die Taggeckos flitzen bereits um das Haus und suchen nach Sonnenflecken, in denen sie sich aufwärmen können. Christian begleitet uns in den Wald, während Rapha den Bus hütet. Meine Gruppe besteht heute ansonsten aus Chrissi, Ines, Markus, Martin, Tanala und mir. Schon in der ersten Palme noch vor dem Haus sitzt ein Calumma brevicorne-Weibchen. Sie scheint bis oben hin voller Eier zu sein, fühlt sich aber trotzdem scheinbar wenig gestört von den Fotografen.
Mit Julien steigen wir einige Stufen nach oben und folgen dem schmalen Weg an einer Baumschule vorbei in den Regenwald. Viele Spinnennetze spannen sich zwischen Bäumen und Ästen – mir persönlich sind ja die kleinen, bunten Gasteracantha versicolor wesentlich lieber als die riesigen, dicken Caerostris. Wobei letztere durch die BBC noch ein bisschen berühmt werden, denn die haben wohl eine ganze Sendung über die bark spiders gedreht, zu denen auch die Spinne mit dem größten Netz Madagaskars gehört. Der Wald in Mitsinjo ist anders als der in Ranomafana. Die Bäume sind dünner und hoch, der ganze Wald erscheint schlanker und lichter, vielleicht einfach jünger. Das Moos ist weniger dick, dafür gibt es mehr Farne am Boden.
Als ich ein paar Stufen herauf steige, sitzt direkt neben mir auf dem Holzgeländer am Weg ein Brookesia superciliaris. Neben einem rostigen Nagel. Ein very natural habitat sozusagen. Und irgendwie fehlen die blauen Kaffebohnen?! Naja, es ist ganz klar ein Männchen. Der hat sich wohl der Brutpflege entzogen und ist auf Abwege gekommen… bevor die skurrilen Märchen über die Erdchamäleons ganz ausarten, gehen wir lieber weiter. Allerdings scheint heute der Tag der Brookesia zu sein: Keine fünfzehn Minuten später findet Julien ein junges Brookesia superciliaris, das am Ende eins Farns sitzt. Es passt gerade auf meinen Daumen.
Unsere Brookesia-Glückssträhne reißt nicht ab. An einem dicken Baumstamm klettert in Kopfhöhe ein weiteres, adultes Brookesia superciliaris. Ich wusste nicht mal, dass die Tiere auch an ganzen Baumstämmen rauflaufen. Und ein paar Meter weiter sitzt noch eines im Moos. Es scheint, die Märchenfindung zu Erdchamäleons lockt die Tiere in unsere Nähe – oder doch nicht? Wir erreichen eine kleine Lichtung mit einem See. Neben einer grünen Bank entdecke ich einen Giraffenhalskäfer, verliere ihn aber sofort wieder aus dem Blick. Weg ist er. Pech gehabt.
Irgendwo im Wald bittet Julien uns, auf ihn zu warten. Er will schauen, ob er die Indris finden kann – und dafür kann er uns als Anhang erstmal nicht gebrauchen, alleine ist er viel schneller (und leiser) unterwegs. Also stehen wir erstmal eine ganze Zeit herum. Mitten im Regenwald. Mit den richtigen Leuten ist das nicht mal langweilig! Tanala kann sich zum Beispiel her-vor-ra-gend hinter den dünnen Bäumchen verstecken. Man sieht ihn quasi dann gar nicht. Ich empfehle dazu das passende Fotos anzuschauen…
Eine ganze Weile später taucht Julien wieder auf, und wir folgen ihm dem laubbedeckten Pfad durch die Bäume. Und tatsächlich, da sind sie. Hoch oben in den Bäumen sitzt eine kleine Gruppe Indris. Die schwarz-weißen, bärchenhaften Lemuren mummeln an grünen Blättern und sitzen entspannt, die Füße gegen den Baumstamm gelehnt, auf großen Ästen. Wir beobachten sie eine ganze Weile, oder sie uns? Ich weiß es nicht genau. Das bleibt bei wohl allen Lemuren das gleiche Geheimnis.
Später brechen wir wieder auf, und machen uns auf den Weg zurück zum Parkeingang. Während wir relativ entspannt den Weg entlang schlendern, findet Julien prompt schon wieder ein Brookesia superciliaris. Es gibt hier auch einfach so viele Brookesia runways, da müssen einfach auch viele Erdchamäleons unterwegs sein. Die vielen, moosigen Lianen bieten einfach perfekte Rundläufe – das ist aber auch die einzige Ähnlichkeit, die dieser Wald zu Ranomafana hat.
Martin, der vor mir läuft, bleibt auf einmal abrupt stehen. „Huch, wen haben wir denn da?“ Ein winziges, neongrünes Calumma gastrotaenia krabbelt gerade auf Kopfhöhe auf einem Ast, der direkt neben dem Weg hängt. Den Winzling zu fotografieren, erweist sich jedoch als sehr schwierig, und so setzen wir ihn schnell wieder zurück. Dann folgen wir schnell dem Rest der Gruppe, der schon fast wieder raus aus dem Regenwald ist.
Im Hotel finden sich beide Gruppen wieder ein. Wer Mittagessen will, bestellt sich etwas. Ich setze mich auch auf die große Terrasse, strecke die Füße entspannt aus und schaue die Fotos des Tages durch. Am Nachmittag brechen wir nochmal zu Fuß auf, in den Orchideenpark. Orchideen gibt es dort zwar um diese Jahreszeit eher nicht, dafür haben Julien und Edwin etwas ganz anderes gefunden: Ein Furcifer wilsii-Weibchen. Das kleine, kugelrunde Wesen ist grün und trägt gelbe Streifen – und jede Menge weißer Punkte. Außerdem gibt es einen Uroplatus sikorae zu sehen, und sogar noch ein schönes, grünes Calumma parsonii cristifer-Männchen.
Als die Sonne untergeht, sitze ich mit den anderen vor meinem Bungalow. Tanalas und mein Bungalow, diesmal ganz unten in der ersten Reihe, wird aus irgendeinem Grund zum THB-Treffpunkt, zum Quatschen und Entspannen. Die letzten Sonnenstrahlen berühren die Wipfel des Regenwaldes, dann wird es sehr schnell dunkel. Richtig dunkel. Es ist Zeit für’s Abendessen, das hier richtig gut ist und ab und zu mit in Honig getränkten frittierten Bananen gekrönt wird.
Plötzlich fliegt etwas kleines Grünes auf den Holzboden der Terrasse. Ich hüpfe sofort hinterher, das wird doch nicht ein Platycalymma sein? Doch, ist es. Eine wunderschöne, kleine Mantide, die man nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Ich habe eine andere Art der gleichen Gattung letztes Jahr in Marojejy gesehen, auch da ist sie übrigens nach dem Abendessen einfach auf den Tisch geflogen. Scheint eine Art mit Hang zu leckerem Abendessen zu sein.