Heute schlafe ich mal richtig aus. Selbst für Madagaskar ist um neun Uhr aufstehen echt spät, schließlich sind schon drei Stunden, in denen es hell ist, rum. Und es bleiben gerade mal neun vom Tag. Tanala und ich frühstücken nur zu zweit, denn alle anderen sind längst auf dem Gelände des Reservats unterwegs.
Sylvain hat uns gebeten, doch mal nach den Schildkröteneiern von letztem Jahr zu schauen. Wir hatten da ja so einen etwas eigenen Inkubator gebaut. Also begeben wir uns zum Gehege der Strahlenschildkröten, und entfernen das Gitter von der durchlöcherten Plastikwanne. Dann wird vorsichtig gebuddelt. Eigentlich müsste längst etwas geschlüpft sein – waren die Eier etwa unbefruchtet? Je tiefer ich buddle, desto übler riecht es… Leider sind die Eier tatsächlich unbefruchtet gewesen. Also heißt es weiter sammeln, irgendwann wird schon etwas bei rumkommen. (Anmerkung: Tut es. 2017 schlüpft unsere erste Nachzucht im Selbstbau-Inkubator).
Wieder fängt es an zu schütten. In einer kurzen Regenpause gehen Markus, Ines, Chrissi, Martin und ich nochmal los in den Regenwald, um vielleicht noch das ein oder andere Tier zu finden. In einer Astgabel liegt auf einem Laubpolster eine junge Madagascarophis colubrinus. Ihr ganzer Körper ist von Wassertropfen bedeckt, und sie bleibt recht geduldig sitzen, als jeder Fotos macht. In unmittelbarer Nähe finden sich noch diverse Stabschrecken auf den Blättern, ein Pärchen paart sogar gerade. Es tröpfelt wieder mehr und wir schlendern langsam zurück.
Direkt vor dem Restaurant hat Dimby derweil eine Ithycyphus perineti gefunden, eine wunderschöne gelbe Schlange mit weinrotem Schwanz. Sie kommen hier wohl öfter vor, ich habe nur noch keine gesehen. Ein besonders kleines Tier bekommen wir letztlich von den Jungs des Hotels gezeigt: Ein Brookesia cf. peryrierasi, das gerade auf meinen Daumennagel passt. Dazu gesellen sich drei schwarz-weiße Varis, darunter ein Jungtier vom letzten Jahr. Der kleine Kerl ist recht scheu, aber unheimlich neugierig. Langsam tastet er sich an die merkwürdigen Zweibeiner heran. Als er zu übermütig wird und einen zu dünnen Ast entlang klettert, stürzt er einfach samt Ast nach unten – und schießt dann wie der Blitz weiter nach oben in die sichere Baumkrone.
Am Nachmittag ist noch Zeit, unser Aufforstungsprojekt zu bearbeiten. Wie versprochen hat Tanala von den Reisekosten einen Anteil für Ala kely verwendet, und Sylvain hat jede Menge Setzlinge der nahe gelegenen NGO besorgt. Wer Lust hat, darf also sein eigenes Bäumchen heute gleich einpflanzen. Sogar die Löcher sind schon vorgebuddelt – zumindest zum Teil. Es ist bedeckt, als wir zum Aussichtspunkt am Krokodilsee laufen, wo diverse leere Hänge mit Bäumen bepflanzt werden sollen. Dimby zeigt stolz einige der Bäumchen, die wir im letzten Jahr – damals noch zu viert – gepflanzt haben. Sie sind schon einen guten Meter hoch! Dann geht es los: Jeder nimmt die Setzlinge aus den Bastkörben, die er pflanzen möchte, und entfernt die Plastiktüten, in denen sie aufgezogen wurden. Dann sucht jeder sich einen, zwei (oder mehr) der vorbereiteten Plätze und setzt die Pflanzen in die Erde. Mit den Händen werden die Pflänzchen eingegraben. Und alle sind begeistert dabei. Nur ich und Dimby sitzen über dem Hang und beobachten lieber erstmal. Und bestaunen die Pflänzchen vom letzten Jahr. Wie schön wäre es, hier in 30 Jahren in unserem selbst gepflanzten Wald spazieren zu gehen.
Am Abend stärken wir uns beim leckeren Abendessen, bevor Sylvain den ein oder anderen Rum spendiert. Wobei, das trifft es nicht so ganz. Er fragt zuerst, ob wir einen probieren möchten? Aber ja doch! Wir probieren erstmal Ananas, der ist klasse. Dann kommt noch Jackfruit auf den Tisch, auch der ist gut. Als Sylvain jedoch eine dunkelbraune Brühe mit irgendeiner medizinisch genutzten Pflanze anschleppt, lehne ich dankend ab. Na gut, ich nippe dran. Und den Schokoladenrum lasse ich lieber, der ist einfach nur bitter. Die verschiedenen Rumsorten sind natürlich alle selbst gemacht, und jeder Rum ist in einem großen 5-Liter-Glas untergebracht. Am frühen Abend ist der Ananasrum noch fast voll.
Nachdem das Restaurant bis auf Markus, Ines, Chrissi, Markus, Tanala und mich leer ist, beschließen die Jungs vom Hotel, dass jetzt Zeit für Musik ist. Der Madagasse an sich singt sowieso sehr gerne, und wenn es dann Instrumente dazu gibt, geht es rund.
Sylvain und die anderen holen diverse Trommeln irgendwo hervor, und beginnen zu trommeln und zu singen. Sehr rhythmisch, wenig melodisch, aber vor allem eins: Laut. Dazu fließt fleißig weiter der Rum, nach 15 Schnapsgläsern höre ich auf zu zählen. Sylvain hat zwei kleine Boote aus dunklem Holz, in die man die Schnapsgläser stellen kann. Besagtes Boot wird ständig freudig wieder aufgefüllt. Schließlich drückt Sylvain Markus eine der Trommeln in die Hand – und der schon leicht angeheiterte Markus sitzt kurz Modell für ein sehr denkwürdiges Bild, das seitdem sicherlich so oft in unserer Whatsapp-Gruppe auftauchte wie sonst keines: Mit seligem Grinsen, Zigarette im Mund, THB in der einen Hand und Trommel in der anderen. Aber nicht nur er trommelt, nach und nach werden alle zum Trommeln herangezogen. Und zum Singen. Je höher der Alkoholpegel im Blut steigt, desto besser klappt auch alles gleichzeitig. Also, gefühlt besser. Die Runde macht irre Spaß. Nach etlichen Überredungsversuchen trinkt Olivier vermutlich den ersten Rum seines Lebens. Der Pegel des Ananasrums sinkt.
„J’ai un probléme dans ma plantation, poooourquoooii ça pousse paaaaas?“ schallt es wenig später lautstark aus dem Restaurant, und wir singen das Lied eine gefühlte Ewigkeit. Mit madagassischem Dialekt, was geringe Französischkenntnisse wunderbar aufwertet. Jeder darf in dem Lied was pflanzen, und inzwischen hat sich die Runde etwas erweitert. Der Ecuadorianer und zwei Französinnen sind aus ihren Bungalows nebenan gekommen, weil die Musik so laut war. Im Restaurant wird inzwischen fröhlich getanzt.
Markus und Sylvain haben ihre T-Shirts getauscht und einige Knöpfe sitzen bedrohlich eng. Und ja, Sylvains Shirt riecht wirklich immer gut, während alle anderen schwitzen und stinken – keine Ahnung, womit der das einsprüht. Martin, Chrissi und ich trommeln fleißig weiter, und wie Ines das schräge Gesinge so nüchtern aushält, frage ich mich gar nicht mehr. Als unsere drei „Gäste“ dann – und man sollte bedenken, dass wir einen beträchtlichen Vorsprung beim Trinken haben – selbst singen sollen, flüchten sie lieber wieder. Wir lassen uns davon nicht stören, und singen und trommeln noch lange weiter. Es ist einer der schönsten Abende des Urlaubs. Später machen wir noch ein Erinnerungsfoto von der feucht-fröhlichen Trommelrunde, das aber wegen der langsam abhanden kommenden technischen Fähigkeiten ein Video mit Gesang wird.
Erst sehr viel später wanke ich mit Tanala zu meinem Bungalow. Als ich das letzte Mal Rum auffüllen war, lagen die Ananasstücke schon trocken und das riesige Glas stand auf unserem Tisch statt hinter der Bar. Ich erinnere mich duster, gefragt zu haben, ob wir nicht noch die Ananas essen wollen…
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