Dank des intensiven Lack-Geruchs habe ich kaum geschlafen. Das Frühstück hier spar ich mir lieber, gibt bestimmt irgendwo unterwegs was am Straßenrand, was essbarer ist. Pünktlich sind alle samt Gepäck vor unseren Toyota Landcruisern versammelt. Die Autos sind besetzt wie gestern. Tinah spricht kein Englisch. Also unterhalten wir uns – so gut es geht – auf Madagassisch. Dass ich Hunger habe, versteht er prima, und organisiert an ein paar kleinen Ständen noch in Mahavelona mufo mamy, süßes Teigebäck. Sonst ist er nicht so gesprächig, was aber auch an der schwierigen Straße liegen mag.
Zu Beginn des Tages ist die Straße aber noch ziemlich gut: Asphaltiert, relativ gerade und die Schlaglöcher halten sich in Grenzen. Wir passieren Mahambo, ein Hüttendorf, das laut einem weiß-blauen Schild am Ortseingang eine Städtepartnerschaft mit einer Gemeide namens Labastide in Frankreich unterhält. Ein Mann mit einem ausgewachsenem Schwein auf einem Roller kommt uns entgegen. Das arme Schwein liegt quer auf ein schmales Brett verschnürt vor ihm. Die Straße führt weiter geradeaus. Alles ist grün, Palmen, Mangos und ein paar verlorene Nadelbäume säumen den Weg. Langsam nehmen die Schlaglöcher zu.
In Fenoarivo halten wir an einer großen Markthalle. Eigentlich stehen wir einfach nur am Straßenrand auf einem Stück kaputten Asphalt, das in Sand übergeht. Aber tatsächlich kommt ein Mann vorbei und verkauft handgeschriebene „Parktickets“ für 300 Ariary pro Auto. Das ist ja niedlich. Gegenüber ist ein kleiner, knallgelb und grün bemalter Kiosk, an dem man Crédits für’s Handy kaufen kann. In der Markthalle gibt es allerhand Gemüse, Obst und Fleisch zu kaufen. Alles liegt auf Betontischen. In einer Ecke liegt übel stinkender Fisch aus. Es ist drinnen noch relativ leer, während Fenoarivos Straßen vollgestopft sind mit Fußgängern, Fahrradfahrern, Zebukarren und wenigen Unimogs, den Taxibrousse der Ostküste.
Nach kurzem Stop geht es weiter nach Soanierana Ivongo. Noch immer ist die Straße ganz ok. Ab und kommt uns ein Motorroller oder ein Geländewagen entgegen, sonst ist nicht allzuviel los auf der RN5. An einem schön gelegenen Aussichtspunkt halten wir an. Man kann von hier direkt auf’s Meer schauen, zu dem die RN5 parallel verläuft. Weiße Sandstrände unter grünen Palmen, hinter uns die typischen roten Felsen Madagaskars. Schließlich erreichen wir Soanierana Ivongo, die Fährstadt gegenüber von St. Marie. Es ist voll, laut und wuselig. An einem Betonanleger mitten zwischen vielen Hütten bleiben wir stehen und warten. Anscheinend auf eine Fähre, auch wenn das hier so gar nicht wie ein Fähranleger aussieht. Die Fähre ist auch schon…naja. Alt. Sehr, sehr alt. Und sehr, sehr gebraucht. Das Metallgeländer hängt teils verbogen herunter. Das Türmchen, in dem der Fährmann sitzt, sieht reichlich wackelig und wenig vertrauenserweckend aus. Und es passen nur sechs Autos auf die ganze Fähre. Das passt – wir sind ja auch nur zu viert. Die Fähre kommt und zwei metallene Planken werden ausgelegt. Ja geil, auf denen soll man jetzt…? Tinah macht das einfach. Es rumpelt und kracht, aber alles hält. Tuckernd brummelt die Fähre über das Wasser. Die Sonne brennt, es ist unglaublich warm, und der Fluss, den wir queren, ist eher eine braune Brühe. Hier soll es Haie geben, und irgendwer erzählt von einem Mädchen, das beim Anlegen der Fähre in den Fluss gefallen und gefressen worden sein soll.
Ich sehe allerdings leider keinen Anleger auf der anderen Seite. Es gibt auch keinen richtigen. Die Fähre hält an etwas, das aussieht wie eine Mischung aus einem abgebrochenen Betonklotz und Sandpiste. Dahinter liegt eine rot-weiße Schranke, die bei unserer Ankunft bereitwillig hochgezogen wird. Und dann ist da… nichts. Die Straße geht hier einfach nicht weiter. Obwohl es sich hier um die Route Nationale 5 handelt, ist einfach kein Asphalt mehr da, sondern nur noch eine Sandpiste. Im ersten Dorf hinter der Schranke halten wir an einem Brunnen, um uns kurz zu erfrischen. Ein grau-weißes Pantherchamäleon sitzt im Gebüsch. Schnell geht es weiter, es liegt noch ein langer Weg vor uns – und wenn man den Weg so anschaut, kann der sich ziehen. Naja. Wir wollten Abenteuer, jetzt gibt es Abenteuer!
Tatsächlich besteht auch die weitere RN5 nur noch aus einer Buckelpiste. Tiefe Löcher, die zum größten Teil mit Wasser gefüllt sind, und schmale Sandbuckel wechseln sich ununterbrochen ab. Teils sind die Wasserlöcher wesentlich tiefer, als man es beim ersten Blick vermuten würde. Deshalb fahren wir im Slalom nicht durch die Löcher durch, sondern immer mit zwei Reifen am Rand über’s Trockene. Links herum…Buckel rauf, Buckel runter, rechts herum…Buckel rauf, Buckel runter…links herum…Buckel rauf, Buckel runter, rechts herum. Zwischendurch tauchen kleine, teichartige Wasseransammlungen auf, und auch die durchfahren wir einfach. Das Wasser spritzt in alle Richtungen. Tinah macht die Strecke Spaß. Er mampft die von mir angebotenen Chips und kennt anscheinend in jedem noch so winzigen Dorf, das wir durchqueren, irgendwelche Leute. Überall begrüßt er Männer und Frauen, winkt hier aus dem Fenster und ruft da etwas rüber. Die Dörfer hier haben nicht einmal mehr Ortsschilder. Zwischenzeitlich fahren wir ein ein Stück nur auf tiefem Sand. Ein uralter Landrover kommt uns entgegen. Auf der Motorhaube und auf dem Dach sitzen zwei Männer, die offenbar die Straße einschätzen und dem Fahrer Anweisungen geben sollen.
Hinter einer langen Sandpiste, in der die Landcruiser schon etwas ins Schleudern geraten, wartet die nächste Fähre. Und die ist noch älter als die erste. Einen Anleger gibt es hier nicht, nur das sandige Flussufer. Die Fähre – oder der Schrotthaufen, der sich so nennt – liegt im Fluss, nur zwei enorm verbogene Metalldinger führen steil nach oben vom Sand auf die Fähre. Dimby und Tinah fahren nacheinander jedes der Autos vorsichtig auf die Fähre – dabei ist Millimeterarbeit gefragt, denn die Metallplanken sind nicht viel weiter als die Autoreifen. Wir warten derweil an einem kleinen, überdachten Lädchen, das sogar Getränke anbietet. Mitten im Nirgendwo. Ein paar Meter weiter wird am Ufer ein Motorrad auf eine Piroge verladen. Das Ganze sieht mächtig wackelig aus, aber irgendwie schaffen die zwei Männer es samt Motorrad in der Piroge ans andere Ufer.
Dann krabbeln nacheinander auch wir auf die Fähre – mit Flip-Flops ist das allerdings gar nicht mal so einfach. Oben angekommen, beoachtet ich, wie ein bereits sehr merkwürdig grinsender und furchtbar schielender Fährmann Benzin mittels eines Plastikschlauches aus Tinahs Benzintank saugt. Natürlich bekommt er dabei ordentlich Benzin in den Mund – und seinem scheelen Blick nach zu urteilen, passiert das öfter. Das Benzin wird benötigt, damit die Fähre überhaupt fahren kann. Achja, und aus Gris‘ Auto bauen die Jungs noch schnell eine Autobatterie aus und an die Fähre an. Ohne fährt sie nämlich nicht.
Die Fähre hält am anderen Ufer im Sand. Die Autos herunter zu fahren, nimmt einige Zeit in Anspruch. Dann fahren wir weiter, durch matschigen Sand, und irgendwie scheint hier auch die Straße aufzuhören. Es sieht aus, als hätte sich einfach nur eine Walze durch die Vegetation bewegt und einen Trampelpfad geschaffen. Dann kommen wir doch wieder auf einen „Weg“, also vielmehr die gleiche sandige Buckelpiste wie schon zuvor. Ruckelnd und rumpelnd durchqueren wir Pfützen und Wasserlöcher.
Mittags halten wir an einer kleinen Holzhütte irgendwo im Nirgendwo. Es entpuppt sich als Restaurant, wobei ich dauernd das Gefühl habe, gleich durch die wackeligen Holzbalken des Bodens zu brechen. Ein paar großzügige Löcher sind bereits vorhanden. An einem schmalen Tisch gibt es schmutzige Gläser, und als einziges Gericht Reis mit Huhn. Vor der Tür badet eine Ente in einer Pfütze, und eine winzige, vielleicht sechs Wochen alte Katze tapst zwischen meinen Beinen umher. Zum Hände waschen nach dem Essen steht ein gelber Kanister vor der Hütte. Zwei Gäste haben leider irgendwie gerade was mit dem Magen, und die offroad Piste ist da natürlich wenig hilfreich. Entsprechend haben die beiden sich schon mehrfach neben dern RN5 entleert, in alle Richtungen. Da kommt eine Pause gerade recht.
Im Übrigen fährt Tinah so zügig, dass der Abstand zu den Landcruisern hinter uns immer weiter anwächst. „Ja, wo sind sie denn?“, lacht er auf Madagassisch, und fügt gleich ein „Sehr langsam, die anderen!“ hinzu. Die Dreier-Auto-Gruppe bekommt von ihm außerdem den Spitznamen Anganoka. Zwischendurch warten wir in einem winzigen Dorf zwischen Hütten eine halbe Stunde. Jonathan hatte wohl einen halben Baum unter dem Auto stecken, der wollte erst entfernt werden. Überhaupt sammelt sich unter den Autos ganz schön Dreck an bei der Fahrt durch die Matschlöcher. Auch Tinah hat eine ganze Sammlung lianenähnlicher Pflanzen in den Achsen hängen. Als es Tinah zu lange dauert, steigt er aus und verschwindet in eine der Hütten. Fünf Minuten später kommt er mit einem dampfenden Kaffee in der Hand lächelnd zurück. Faszinierend.
Ein wenig später – die anderen haben aufgeschlossen – stehen wir vor einem See. Ja, eigentlich ist es ein See, denn das Wasser reicht meterweit in alle Richtungen. Vielleicht ist es auch ein Fluss? Keine Ahnung, lässt sich hier nicht so genau sagen. Tinah und die anderen Madagassen laufen durch das vielleicht kniehohe Wasser und suchen den günstigsten Weg. Dahinter geht es in Schlangenlinien auf der Sandpiste weiter. Irgendwo erreichen wir einen winzigen Wald, oder vielmehr sehr hohes Gebüsch. Direkt dahinter wartet eine weitere altersschwache, abgewrackte Fähre auf uns. Diesmal ist immerhin der Anleger wieder aus Beton, aber nur auf einer Seite.
Hinter der Fähre bleiben wir vor einer Schranke – beziehungsweise einem langen Ast – mitten im Nirgendwo stehen. Also, nirgendwo ist hier überall. Aber wozu die Schranke? Ich erfahre es gleich vom aufgebrachten Tinah, der wütend mit dem Männlein an der Schranke diskutiert. Die „Straße“ wurde hier spontan um drei Meter nach links verlegt, weil rechts kein Durchkommen mehr sei. Da wäre ein Stück der Piste weggebrochen ins Meer. Blöd. Und links die Piste gehört nun jemandem – zumindest behauptet er das, und der möchte jetzt 25.000 Ariary für die Durchfahrt haben. Tinah diskutiert so lange, bis er nur 5.000 Ariary pro Landcruiser zahlt. Auch das ist wahrscheinlich nicht rechtens, aber was will man hier machen? Zahlen oder stehenbleiben.
Als die Sonne untergeht, erreichen wir endlich Manompana. Direkt davor liegt allerdings noch ein kleiner See, der durchquert werden will. Aneinander gereihte Pfähle weisen auf den ersten Metern den Weg, der einen Bogen durch das Wasser macht. Tinah deutet uns, die Fenster hochzukurbeln, dann fahren wir durch das tiefe Wasser. Das Wasser schwappt über die Motorhaube. Nur einmal kurz drehen die Reifen durch, dann sind wir auf der anderen Seite. Für Fußgänger gibt es eine 40 cm breite Brücke über’s Wasser, die aus aneinander gereihten Ästen besteht. Als wir nach Manompana rein fahren, entdecke ich ein Schild „Hotel au bout du monde“ – na, wenn das nicht passt!
Wir biegen in eine grüne Einfahrt zwischen Hecken, und bleiben vor einem kleinen Holzgebäude stehen. So sieht also unser Hotel aus? Der Strand ist schön, die „Bungalows“ sind unterirdisch. Chrissi will lieber im Zelt schlafen – das müssen eh einige, da uns mindestens vier Räume fehlen. Dimby fährt mit ein paar der Gästen noch zum „zweitbesten“ Hotel Manompanas. Dort bricht einer der Gäste dann in der Dusche wohl durch die Holzbohlen am Boden, was das Unternehmen Zweithotel direkt ad acta legt.
Seegurken-Diebe sind gerade von St. Marie hierher geflüchtet, erfahren wir später. Und da sie über reichlich Geld und Druckmittel verfügen, hat der Hotel-Besitzer mal eben unsere vor Monaten gebuchten Bungalows „anderweitig vermietet“. Seegurken-Diebe klingt übrigens ja eher harmlos und nett, tatsächlich handelt es sich wohl aber eher um mafiöse Strukturen mit reichlich Waffen und ebenso reichlich finanziellem Hintergrund. Das Auto, was blank geputzt mit schwarz getönten Scheiben neben unseren Landcruisern in der Einfahrt steht, lässt einiges erahnen. Und nichts davon ist gut.
Tanalas und meine Hütte ist… ja, einfach. Durch die Holzplanken des Bodens kann man durchgucken, das Bett besteht aus hartem Holz und etwa einem Zentimer altem, vergilbten Schaumstoff darauf, und das Moskitonetz hat mehr Löcher als Netz. Immerhin ist hinter dem Räumchen noch ein betoniertes Bad, aber auch hier steht die Hintertür offen und ich will gar nicht wissen, was sich in den dunklen Ecken der Hütte noch so alles tummelt. Immerhin schlafen zwei Hunde direkt unter unserer Hütte. Einer der beiden, kniehoch und beige mit einer dicken, alten Verbrennungsnarbe auf dem Rücken, freut sich sehr über Streicheleinheiten. Später tauchen noch zwei kleinere, schwarz-braune Hunde auf, die sich aber nicht so recht nah ran trauen. Das „Bad“ wird kurzerhand zum öffentlichen Waschraum für unsere gesamte Gruppe, und wer es gut erwischt, bekommt ein Zelt. Die Jungs müssen in ihren Autos übernachten – was aber gleich auch jeglichen Diebstahlversuchen vorbeugt.
Ich bin gespannt, wo und ob es hier Abendessen gibt? Zumindest versammeln wir uns dazu in der größeren der offenen Holzhütten. Es ist duster, ein paar vereinzelte kleine Glühbirnen sorgen für schummerige Beleuchtung. Kleine, wackelige Holztische stehen bunt in der Hütte verteilt. Das einzige Mädel, was hier sowas wie eine Bedienung ist, braucht geschlagene 60 Minuten, um Besteck für 20 Personen zu verteilen. Danach stellt der Besitzer des ganzen Hüttentums fest, dass es nur noch ein einziges kaltes Bier gibt. Und auch sonst keine kalten Getränke.
Einen gewissen Humor braucht man in Manompana schon, und viel mora mora. Das Noor-Hotel in Ambilobe ist ja ein Palast hiergegen! THB wäre sicher auch hilfreich. Bezüglich der THB-Not schaffen unsere Jungs Abhilfe, und holen schnell aus irgendeinem Laden, der noch offen hat, zwei Kisten kaltes THB. Alle haben einseitigen Sonnenbrand von den Fähren. Und ja, mit Humor ist alles gar nicht so schlimm. So ist es halt auf Madagaskar manchmal. Gegenüber unseres „Hotels“ herrscht lautes Theater, Schreierei, Gebrülle – vielleicht werden da gerade Seegurken getauscht? Wo unsere beiden local guides eigentlich abbleiben, weiß auch keiner. Sie tauchen auch den Rest des Abends nicht wie vereinbart auf. Dimby erreicht partout niemandem auf dem Handy.
Der beige Hund hat uns offenbar ins Herz geschlossen, denn er nächtigt direkt vor der Tür von Tanalas und meiner Hütte. Und bellt nachts jeden an, der vorbeikommt. Das ist beruhigend. Weniger beruhigend ist eine doppelt handtellergroße Huntsmen spider, die im Bad an der Wand sitzt. Und scheiße, die ist RICHTIG riesig. Und scheiße schnell. Genauso wenig beruhigend ist auch das Bett, in dem ich nach kurzem Überlegen komplett angezogen schlafe. Heute heißt es einfach mal: Augen zu und durch.