Heute beginnt der Tag ohne Frühstück. Unser neuer Fahrer Léon aus Antsirabe und Gris, ein alter Bekannter auf dem Weg in den Norden, sind die ersten, die mit ihren Toyota Landcruisern in die Einfahrt des Raphia biegen. Dimby kommt als allerletztes. Eric, Andry und José sind mit einem Starex als Küchencrew die Vorhut, und Mika sowie Choa sind die übrigen im Bunde der Fahrer. Die Kofferräume werden geöffnet und Planen auf den Dächern der Landcruiser ausgebreitet, um das Gepäck darin zu verschnüren.
Eine wundersame Begebenheit trägt sich während dem Beladen der Autos auch noch zu. Jemand in der Gruppe (ich bin es nicht!) hat ein intimes, schlimm juckendes Problem. Auf gut Deutsch: Einen Scheidenpilz. Kann mal passieren. Blöd ist allerdings, wenn man keine Medikamente dafür dabei hat und verständlicherweise auf Madagaskar keinen Gynäkologen konsultieren möchte. Aus einem mir nicht wirklich bekannten Grund wurde ich auserkoren, dieses Problem zu lösen, ergo in die Apotheke zu fahren und Medikamente zu besorgen. Ganz diskret. Das funktioniert hervorragend, wenn bereits der erste, den man deswegen unter vier Augen anspricht, erstmal auf Madagassisch über den Platz brüllt, wer denn mit zur Apotheke fahren wolle, da gäbe es ein intimes weibliches Problem. Immerhin weiß ich schon, welcher Wirkstoff gegen solche Probleme hilft, und nehme zur Sicherheit noch Katja mit – die ist Apothekerin. Léon fährt uns zu einer kleinen Apotheke mit Glasfront ein paar Straßen weiter.
Ein junger Mann mit Schlabberhose und schwarzem T-Shirt steht hinter dem Tresen. Ich versuche es erstmal auf Madagassisch und frage nach Clotrimazol. Der junge Mann holt eifrig eine lange Liste hervor, und fährt mit dem Finger die handgeschriebene Medikamentenliste der Apotheke ab. „Clotrimazol gibt’s hier nicht!“, ist seine ruhige Feststellung. Ich versuche zu erklären, dass nur der Wirkstoff Clotrimazol ist, das Medikament heißt wahrscheinlich ganz anders. Bekümmertes Schulterzucken seitens des jungen Herren, und Léons Übersetzungsversuche sind auch wenig hilfreich.
Mit den Worten „Vaginitis“ und „Candida“ kann gar keiner was anfangen. Also bitte ich um ein Blatt Papier, was ich samt Stift vom stirnrunzelnden Verkäufer ausgehändigt bekomme. Ich male großzügig die kurvigen Formen einer Frau, und markiere den Intimbereich mit einem großen Kringel. „Daaaa brennt‘s!“, erkläre ich dazu. Der junge Mann scheint eine Erleuchtung zu haben. Er wühlt in Schubladen und Regalen, um dann stolz und mit breitem Lächeln mit einer Packung zurück zu kommen. Es ist eine ganze Schachtel Antibaby-Pillen, wie ich an Hand des Wirkstoffs feststelle. Kriegt man hier offenbar problemlos ohne Rezept. „Nee, das ist es jetzt eher nicht…“, murmele ich kopfschüttelnd.
Ob es leichter verständlich ist, wenn ich es vormache? Ich kratze mich sehr real an den gewissen Stellen und versuche, aus Léons grottigem Englisch und meinem noch schlechterem Madagassisch eine sinnvolle Erklärung zusammen zu bekommen. Wie um Gottes Willen erklärt man denn ein Scheidenzäpfchen? Nach endlos langen Minuten verschwindet der junge Mann wieder, um erneut strahlend eine Packung auf den Tisch zu stellen. Diesmal hat er allerdings genau das gefunden, was ich wollte. Der Wirkstoff ist übrigens – wer hätte das gedacht – Clotrimazol.
Erleichtert zahlen wir, und verlassen die Apotheke so schnell wie möglich. Das war mal eine peinliche Vorstellung. Der Verkäufer und Léon glauben vermutlich bis heute, dass ich die Betroffene gewesen wäre. Auch wenn ich das etwa fünfzig Mal verneint habe.
Zurück im Raphia ist unser Küchenstarex bereits unterwegs. Ich fahre mit Rudi und Silke in Dimbys Landcruiser. Wir rumpeln über den gepflasterten Weg hinter dem Hotel aus Talatamaty heraus und in Richtung der Route nationale in den Nordwesten.
Die Fahrt ist lang, die Pipipausen sind kurz und zu meiner Verwunderung sehr chamälon-arm. Es wird immer wärmer, je weiter wir gen Norden und aus dem Hochland heraus kommen. Gegen halb zwei erreichen wir Maevatanana. Die Sonne brennt vom wolkenlosen blauen Himmel. Außer uns sind nur ein paar Enten am Straßenrand unterwges. Schwitzend öffne ich die Tür des Autos, werfe meine Flip-Flops auf den Boden und tapere zu einem hallenartigen Restaurant, dessen große, unverglaste Fenster mit Metallgittern verziert sind. Es ist urheiß hier. Die Hitze steht wie eine dicke, wabernde Wolke über dem kleinen Städtchen, und auch die vielen Ventilatoren an der Decke des Restaurants haben dem wenig entgegen zu setzen. Außer ein bisschen Reis und eine ganze Menge Cola bekomme ich nichts runter.
Erst im Dunkeln erreichen wir Ankarafantsika. Ich freue mich sehr auf den Park, denn hier hat es nicht nur sehr nette Menschen, sondern auch tolle Guides und grandiose Tiere. Und Hitze. Und na gut, einen mittelmäßig prächtigen Campingplatz. Als die Sonne untergeht, beobachte ich in der Ferne über Ankarafantsika ein Gewitter oder vielmehr Wetterleuchten. Die Sonne sorgt für ein beeindruckendes Farbspiel am Horizont, und darunter mischen sich immer wieder Blitze und ein sehr fernes Grollen. Irgendwie gewittert es immer, wenn wir nach Ankarafantsika kommen.
Halb acht ist es schon, als die Reifen des Lancruisers knirschend auf den gekiesten Parkplatz des Nationalparks einbiegen. Diesmal war ich schlau – man lernt! – und habe meine Stirnlampe schon in den Rucksack gesteckt, um sie bei Ankunft gleich nutzen zu können. Auf dem Campingplatz ist es stockfinster, nur in der kleinen Küchenhütte brennt eine funzelige Glühbirne. Nach und nach trudeln alle Autos ein. Im Schein der Taschen- und Stirnlampen trage ich meinen Rucksack auf den Campingplatz. José, Eric und Andry haben bereits ganze Arbeit geleistet. Alle Zelte stehen schon, die Matratzen sind fertig aufgepumpt und mit schicken, neuen Laken bezogen. Nebenbei hat Eric gekocht, und kann deshalb fast direkt nach Ankunft das Abendessen servieren.
Ich setze mich mit den anderen unter das offene Dach mit dem langen Tisch. Ndrema hat dafür gesorgt, dass statt Holzbänken unzählige Metallstühle um den Tisch stehen. Gras gemäht hat er nebenbei auch, um alles etwas wohnlicher und gepflegter zu machen. Und das i-Tüpfelchen kommt noch: Es gibt Strom! Direkt über dem Esstisch baumelt eine nackte Glühbirne und spendet Licht. Nachteilig wirkt sich das allerdings beim Essen aus, wenn man direkt darunter sitzt. Denn die Lampe lockt eine Trillion winziger, fliegender Insekten an, die einem dann mit Vorliebe in den Teller fallen. Ich setze mich an den Rand des Tisches, nachdem mir diverse fies nach Klostein riechende kleine Käfer in den Ausschnitt gefallen sind.
Die drei Hunde des Campingplatzes tauchen während des Abendessens auch auf. Die Hündin und der junge Rüde sind sofort begeistert von ein paar Streicheleinheiten, auch wenn die Flöhe auf beiden Tango tanzen. Der alte Rüde ist auch noch da, allerdings in einem erbärmlichen Zustand. Er humpelt hinten rechts stark, ist sehr dünn geworden und seine Augen eitern. Der arme Kerl wird vermutlich nicht mehr allzu lange hier haben. Ich bedenke ihn, als es keiner sieht, mit etwas Reis und Würstchen samt darunter gemischter Wurmkur. Er frisst alles dankbar auf, und ich hoffe, ich finde vielleicht irgendwo noch eine antibiotische Augensalbe für den armen Wicht. Nochmal in die Apotheke gehe ich dafür aber nicht – wobei es hier auch gar keine gibt.
Am Abend bin ich wie die anderen ziemlich geschafft. Obwohl ich eigentlich gar nichts gemacht habe außer im Auto zu sitzen, ist die lange Fahrt bis Ankarafantsika doch irgendwie anstrengend. Ich krabbele neben Tanala ins Zelt, ziehe den Reißverschluss zu und ziehe den Schlafsack aus der Tasche. Auf die Laken ist in Schreibschrift „The Tanalahorizon teams wishes you sweet dreams“ eingestickt. Werde ich haben, da bin ich sicher. Bei mir juckt’s ja zum Glück nirgends.