Der Tag beginnt nach ausgiebigem Frühstück auf der Hotelveranda mit dem üblichen vorbeifahrendem halben Schwein. Danach geht es früh in den Nationalpark. Unser Guide Diamondra wartet bereits auf uns, wir sammeln ihn unterwegs an seinem Haus auf. Ihn und seinen hübschen rosa Regenschirm.
Beschwingt geht es die Treppenstufen nach unten, über die schmale Betonbrücke und den gepflasterten Weg entlang, bis wir vor der großen Brücke über den Fluss stehen. Diamondra klettert von der Brücke in Richtung Ufer, da er einen Boophis albilabris entdeckt hat. Ausnahmsweise ist der große Frosch schneller als Diamondra – mit einem großen Sprung verschwindet der Frosch im dichten Gebüsch direkt am Wasser, wohin ihm dann leider niemand mehr folgen kann. Als wir die Brücke überqueren, fängt es bereits an zu regen. Ich ziehe meinen Rucksack aus, krempele den Regenschutz darüber und entfalte die Kapuze meiner Jacke. Der Regen wird stärker. Dicke Regentropfen prasseln auf das Blätterdach des Regenwalds. Kleine Sturzbäche rinnen durch Matsch und Erdboden an uns vorbei gen Fluss. Ich folge den anderen ein paar Stufen nach unten und über ein paar glitschige Holzbohlen. Und obwohl ich fast in Zeitlupe laufe, legt es mich auf dem rutschigen Holz prompt hin. Das Metallgeländer direkt über dem Holz hinterlässt einen sehr unschönen Abdruck auf meiner Wade, der bereits nach wenigen Minuten dunkel wird. Laufen kann man damit aber noch.
Schon wenige Meter den matschigen Pfad hinauf entdeckt Diamondra ein spannendes Insekt namens Parectatosoma hystrix. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Stabschrecke mit den vielen skurrilen Stacheln und Streifen sogar als gerade paarendes Pärchen. Das Männchen ist schlank und dünn, während das Weibchen untendrunter gut daumendick ist. Trotz des Regens hole ich meine Kamera heraus, wenigstens ein Foto muss sein. Diamondra hält helfend seinen rosa Schirm über die Tierchen und diejenigen, die fotografieren wollen. Nur wenige Meter finden wir links in einem abgebrochenen, armdicken Bambusrohr kleine, schwarze Kaulquappen. Von welchem Frosch sie wohl stammen? Das bleibt leider vorerst ein Geheimnis, denn außer ein paar Eiern und den Kaulquappen in der Wasseransammlung befindet sich niemand mehr in dem Bambusrohr.
Im Regen folgen wir Diamondra etliche Stufen nach oben. Die Steine sind rutschig, die Stufen schlammig. Man muss aufpassen, wo man hintritt bei dem Regen. Inzwischen tropft es von Rucksäcken, Kapuzen und Jacken. Schick sieht hier keiner mehr aus. Thorsten hat eine Art baumfarbenes Tarnzelt an, ein ähnliches trägt auch Dimby. Alle anderen haben ihre Kapuzen eng um den Kopf geschnürt und laufen mit dem Gesicht zum Boden gewandt, damit es nicht in die Jacken tropft. An einem Baum auf Kniehöhe entdeckt Dimby ein Erdchamäleon, Brookesia superciliaris. Es ist komplett schwarz gefärbt und fällt im nassen, dunklen Laub, das sich in einer Astgabel angesammelt hat, gar nicht auf. Erst als es sich langsam und zögerlich fortbewegt, erkenne ich es.
Inzwischen sind wir im Regen bis an den oberen Punkt des Rundgangs gekommen. Der Regen lässt langsam etwas nach, es nieselt nur noch. Celestine, ein weiterer madagassischer Guide, hat etwas sehr Kleines, aber umso hübscheres an einem Ast entdeckt: Einen jungen Blattschwanzgecko, Uroplatus phantasticus. Das kleine Wunderwerk der Natur hat eine rot-orangene Grundfärbung, die von unzähligen feinen, weißen Streifen überzogen wird. Von wirklich guten Fotos bin ich bei dem Regen jedoch weit entfernt, und gebe den Fotoversuch relativ schnell auf. Schließlich flüchten wir alle gemeinsam zum Aussichtspunkt. Kaum sind wir dort, stoppt der Regen endlich. Die Hütte, die letztes Jahr abgerissen worden war, steht inzwischen wieder und sieht fast genauso aus wie vorher. Zwei junge Franzosen sind bereits dort, grüßen freundlich und verschwinden relativ zügig.
Taggeckos sind dank des Regens heute leider keine unterwegs. Das diesige Wetter lockt niemandem zum Sonnen auf die grün gestrichene Holzbalustrade. Dafür ist die Aussicht bei diesem Wetter sehr spannend: Dicke Nebel- und Wolkenschwaden ziehen über den Regenwald. In Sekunden verändern sie sich, fast scheint der Wald zu dampfen. Ein faszinierendes Schauspiel. Zeit für eine Pause, ein paar Fotos und das Sandwich, das ich heute morgen mitgenommen habe.
Ohne Regen stapfen wir wenig später tiefer in den Wald hinein. Mit weniger Regen und einem Hauch von Sonne fotografiert es sich auch besser. Nach nur ein paar Schritten zeigt Diamondra auf ein weiteres Insekt der Art Parectatosoma hystrix. Wieder handelt es sich um ein paarendes Pärchen. Das Weibchen zuckelt gerade über einen moosigen Baumstamm, während das dünne Männchen sich einfach tragen lässt.
Diamondra hat inzwischen von einem vorbeilaufenden Guide erfahren, dass eine Gruppe Edwards-Sifakas weit hinten im Wald gerade eine Mittagspause macht. Wir folgen einem matschigen Pfad und einer Menge Stufen nach unten, bis wir in einer schlammigen Senke stehen. Es ist wenig zu sehen, dafür aber umso mehr zu hören. In einer Disko-würdigen Lautstärke lärmen mehrere menschliche Gruppen unter den hohen Bäumen. Schließlich entdecke ich die Sifakas, allerdings bewegen sie sich auf Grund des Lärms gerade weg von der Senke. Ein paar braune Makis sind noch übrig, die sich von Menschen weniger stören lassen. Eine Gruppe Franzosen tut sich mit Rufen und wenig Regenwald tauglichen Klamotten hervor, die aber dafür bunt leuchten. Ob senffarbene Halbschuhe bei einem Boden mit Matschschicht bis zum Knöchel eine besonders gute Wahl sind, sei aber mal dahingestellt.
Ein älterer Chinese demonstriert derweil ein üppiges Maurerdecolletée. Sein Guide, ein kleiner, schmaler Kerl mit lustig funkelnden Augen, tippt ihn schließlich an und weist ihn freundlich lächelnd darauf hin, dass ein kleiner Egel seinen Weg in das Maurerdecolletée gefunden hat. Daraufhin beginnt der Chinese panisch, sich nach weiteren Blutegeln abzusuchen – und den Egel aus der prekären Lage in der Poritze zu befreien. Ich beobachte die Szene amüsiert. Wenigstens für Unterhaltung sorgen die Herrschaften, wenn sie schon die Lemuren verscheuchen. Die Freundin des älteren Chinesen ist übrigens auch recht sehenswert gekleidet – sie trägt eine klatschnasse Jeans, die an der Vorderseite an beiden Beinen mehrfach geschlitzt ist. Ihre helle Haut ist wunderbar darunter zu sehen, dekoriert von einem Haufen Mückenstichen und sicherlich auch dem ein oder anderen unvermeidlichen Blutegel.
Lars verteilt derweil munter (aber deutlich leiser) Sallos an Dimby und Tanala. Fitah, der die schwarzen Dinger noch gutgläubig für Bonbons hält, nimmt sich auch eines der angebotenen Lakritzteile. Der Gesichtsausdruck wenige Sekunden später ist allerdings äußerst sehenswert. Hat wohl nicht so gut geschmeckt (ich hab’s ja gesagt…).
Nach einer ganzen Weile steigen wir wieder die Stufen nach oben aus dem Tal heraus.
Viele, viele Stufen später kommen wir zurück zur großen Brücke über dem Fluss. Ganz in der Nähe hat Diamondra Bambuslemuren entdeckt. Die hübschen Tiere sitzen in einem kleinen Bambushain – wo auch sonst – und lassen es sich gerade schmecken. Neugierig beobachten sie uns, zu dritt auf einem umgefallenen Stamm sitzend. Ein weiteres Tier nagt gerade einen jungen Bambusspross ab. Jede Bambuslemurenart hier ist auf einen anderen Teil des Bambus spezialisiert, so wird jeder Bambus perfekt ausgenutzt. Erstaunlich ist, dass die Tierchen ihre Nahrung überhaupt vertragen. Denn Bambus ist eigentlich hochgiftig, zumindest für uns Menschen und viele andere Säugetiere. Er enthält Blausäure – und gar nicht mal so wenig.
Diamondra ist schon über die Brücke vorgegangen. Vor ein paar Tagen hat er kurz vor den Treppen einen wunderschönen Blattschwanzgecko entdeckt und sucht jetzt die Äste entlang des gepflasterten Weges nach dem kleinen Meister der Tarnung ab. Tatsächlich findet er das wunderschöne Tier. Wie genau, verrät er allerdings nicht – ich hätte den kleinen Gecko im Leben nicht zwischen den toten Blättern und Ästchen ausmachen können. Eine längere Fotosession folgt, während der uns auch zwei der Bambuslemuren noch mal besuchen kommen.
Schließlich endet eine sehr nasse, aber erfolgreicher und schöne Wanderung durch den Regenwald von Ranomafana wieder am Ausgangspunkt, direkt am Parkplatz des Park Office. Auf dem Rückweg zum Hotel halten wir nochmal an dem Loch in der Straße an. Es existiert schon etliche Wochen, nach einem Zyklon haben die Wassermassen des Flusses die Straße an dieser Stelle zum Einbruch gebracht. Nachdem das Loch anfangs typisch madagassisch mit einem Baumstamm und anderen Utensilien sehr provisorisch verschlossen worden war, liegen inzwischen Metallschwellen darüber.
Während ich das Loch begutachte, hat Christian bereits seinem Ruf gemäß das erste Chamäleon entdeckt. Er parkt also etwas weiter unten ganz am Straßenrand, zeigt uns das wunderschöne Tier – ein kleines Ding mit Nase. Dann geht er mit Rapha entlang der Büsche am Straßenrand „nur mal gucken“. Innerhalb kürzester Zeit sind weitere Chamäleons gefunden. Sogar ein Calumma fallax, ein eher selten hier zu findendes kleines Chamäleon, sitzt auf einem schmalen Ästchen. Es hat tolle Farben, die aber nur schwer zu fotografieren sind. Sobald das kleine Tiere die Kamera sieht, dreht es sich hinter den Ast und wird dunkel.
In einem einem kleinen, knorrigen Strauch direkt vor einer Mauer vor der Auffahrt eines Hotels sitzt außerdem ein knallgrünes, tolles Furcifer balteatus-Männchen.– hier hätte ich wirklich keines vermutet. Später setze ich es auch genau dort wieder hin. Ein toller Fund!
Beim Abendessen befreit Markus das armselige Huhn von seinem Stock. Es ist immer noch kein Besitzer aufgetaucht, dem das Huhn gehören könnte. Statt wegzulaufen, setzt das Huhn jedoch seinen nicht besonders weiten Weg nur ins benachbarte Gebüsch fort und ist wenig später schon wieder auf dem Rückweg. Ich schaue noch ein wenig an der Hecke vor dem Hotel nach Tieren und finde einige Sipyloidea sipylus, weißlich-helle, geflügelte Stabschrecken. In den trichterartigen Pflanzen sitzen außerdem ein Taggecko.
Später im Bungalow bewundere ich noch meine Wade, die inzwischen bereits blau-schwarz schimmert und eine merkwürdige Delle im Muskel hat (Nachtrag: Die Delle war noch Monate später zu sehen).