Schon um halb Sechs klingelt der Wecker. Es dämmert gerade erst, und ich gehe erstmal unter die Dusche. Ohne Haare diesmal. Im Hochland ist es um diese Zeit nämlich noch recht kühl, so dass es ohne Föhn auch auf dem Kopf eher kalt wird.
Das Frühstück nehmen wir bei Mirinda ein, meiner absoluten Lieblingsbäckerei in Antsirabe. Die haben einfach die besten Zitronentörtchen, immer frisch-warme, riesige Schokocroissants und fantastische andere Leckereien. Als wir die Bäckerei erreichen, ist auf dem betonierten Parkplatz direkt vor dem Haus noch niemand zu sehen. Nur ein Depp, der mit heulendem Motor versucht, seinen unförmigen Jeep einzuparken. Das ist bestimmt der von gestern Abend. Vor der Treppe nach oben auf die überdachte Terrasse hängt noch ein Besen, den ein Angestellter schließlich bereitwillig wegräumt. Kaffee? Gibt’s, so in einer halben Stunde. Vielleicht. Der muss möglicherweise erst noch gepflückt und geröstet werden. Zitronentörtchen sind auch noch aus, wir sind ganz klar zu früh. Also bestelle ich zwei Pain au chocolat und dazu eine Coka kely.
Als einer der Angestellten auf einem großen Tablett Kaffee, Tee und diverse andere Bestellungen nach oben balanciert, ertönt draußen lauter Gesang und Trubel. Es ist wohl Weltfrauentag, wie wir gleich erfahren. Auf der Straße zieht eine große Parade von Frauen in Jogginghosen und bedruckten T-Shirts vorbei. Sie singen lautstark und klatschen dazu. Einige halten Transparente in die Höhe, deren Aufschrift ich leider nicht lesen kann.
Später gurken wir langsam durch Antsirabe. Die Stadt verfügt über ein quasi unerschöpfliches Repertoire an Schlaglöchern und immens dichten Verkehr. Hinter Antsirabe wird der Verkehr nicht besser, aber die Aussicht schöner. Knallgrüne und gelbe Reisfelder säumen die Straße. Sie reichen bis an den Horizont, und einige werden gerade geerntet, was hübsche geometrische Muster in die Felder setzt. Je mehr es auf Mittag zugeht, desto wärmer wird es. Bald zeigt das Thermometer über 28°C, und obwohl ich einfach nur im Bus sitze, schwitze ich vor mich hin.
Kurz vor Antananarivo weist ein Schild zur RN2. Leider folgen wir dieser Abkürzung nicht, denn wir müssen ja noch Annas verlorenes Gepäck am Flughafen abholen. So stürzen wir uns unfreiwillig in den dichten Mittagsverkehrs Antananarivos. Und dicht meint sehr dicht. Stellenweise kriechen wir in Schrittgeschwindigkeit voran, umringt von hupenden Mopeds, riesigen LKWs und rußenden, alten Kisten, die einen deutschen TÜV im Leben nicht überstehen würden. Hier rostet eine Tür, da der ganze Unterboden. Ersatzteile gibt es in den vielen Geschäften und „Garages“ am Straßenrand ja zur Genüge, wenn auch sicher nicht immer für das baugleiche Auto. Auf dem Deich überholen wir ein Taxibrousse, das derart schwarzen Rauch ausstößt, dass die ganze Straße regelrecht vernebelt wird. Daneben werden gerade Kaffebohnen geröstet, was dem Ganzen einen übelriechenden Kaffeegeruch verleiht. Feinstaubwerte lassen grüßen. Bei Gastropizza lassen wir uns absetzen, während Anna noch weitere Kilometer zum Flughafen gondelt. Wenig später kommt sie freudestrahlend zurück. Das vermisste Gepäck ist tatsächlich aufgetaucht.
Nach einer nicht nur gefühlten Ewigkeit – Anna schuldet uns laut Markus inzwischen diverse Runden THB – gelangen wir auf die RN2 Richtung Tamatave, und reihen uns in eine lange Schlange Autos hinter diversen LKWs ein. Im Schneckentempo geht es weiter. Je kurviger die Straße wird, desto schwieriger wird das Überholen der schrottreifen Lastwagen.
Kurz vor Mandraka ruft Rapha auf einmal „Tanalahy kely!“ von hinten. Wie er das aus dem fahrenden Bus gesehen hat – keine Ahnung. Jedenfalls macht Christian die Tür auf, Rapha steigt aus und joggt die Straße nach oben, während Christian in der nächsten Kurve parkt. Bevor Rapha wiederkommt, bewundere ich noch mehrere völlig überladene LKWs dabei, wie sie sich um die Kurve drängeln. Rapha kommt wenige Minuten später angelaufen. Und er hat nicht nur irgendein Chamäleon gefunden, so einfach aus dem fahrenden Bus heraus, sondern ein winziges Calumma globifer Jungtier. Das gab es hier schon seit Jahren nicht mehr zu sehen. Leider sind die Eltern oder Verwandten des Zwergs nicht ausfindig zu machen, aber allein das Jungtier ist schon bemerkenswert genug.
Wenig später fahren wir weiter. LKW über LKW drängen sich auf der RN2. Die meisten sehen irgendwie so gar nicht TÜV-tauglich aus. Ein paar wenige kleinere Autos und viele Taxibrousse überholen die LKWs, wir ebenso. Mich wundert, dass hier „so wenige“ Unfälle passieren. Kurz hinter Mandraka werde ich aber bereits eines Besseren belehrt. Der kleine, weiße Citroen, der uns vorhin noch überholt hat, wird gerade von der Straße geschoben und verursacht damit einen kleinen Stau. Vom Auto selbst ist nicht mehr allzu viel übrig, es scheint sich überschlagen zu haben und ist mehr eine weiß-graue Blechmasse. Zum Glück scheinen Fahrer und Beifahrer ohne größere Schäden weggekommen zu sein. Ein Glück, dass niemand auf der völlig zerknautschten Rückbank saß, wie es sonst auf Madagaskar mehr als üblich ist.
Als wir Moramanga passieren, dämmert es bereits. Die kleinen Buden am Straßenrand sind die einzige Beleuchtung, Straßenbeleuchtung gibt es keine. Pousse-Pousse und LKWs schieben sich durch die Straßen, Fußgänger sind auf dem Heimweg. Am Ortsausgang lodert ein meterhohes Feuer hinter einem Holzzaun. Ob es mutig oder leichtsinnig ist, direkt neben kleinen Holzhütten so ein Feuer anzufachen, vermag ich nicht zu beurteilen.
Wir halten kurz an einer Tanke, deren Belegschaft bereits vor dem geschlossenen Tankstellengebäude sitzt und quatscht. Benzin – oder vielmehr Diesel – gibt es aber noch. Obwohl wir nur tanken, steigen direkt alle mal aus – die müden Glieder mal ausstrecken, und die angeschwitzt pappigen Klamotten mal lüften. Überall, wo man sitzt, schwitzt man nämlich echt viel.
Schließlich beginnt es zu regnen. Erst tröpfelt es ein bisschen, dann öffnet der Himmel alle Schleusen. Der Fluss, den wir auf einer altersschwachen Betonbrücke überqueren (Christian wartet extra, bis der LKW vor uns alleine darüber gefahren ist), ist zu einem reißenden Gewässer angeschwollen. Am anderen Ende der Brücke balanciert eine Frau im weißen Minikleidchen auf einem Betonpfeiler, ein Smartphone in der Hand. Ob da oben der Empfang besser ist?
Christian überholt einen LKW, dem offenbar fast alle Leuchten fehlen, lediglich ein winziges rotes Fahrradrücklämpchen leuchtet an dem riesigen 16-Tonner. Wenig später überholt uns ein durchgeknallter LKW-Fahrer, der nur einen Container und drei festgeklemmte Bananenstauden transportiert, viel zu schnell im Dunkeln. Er hat hinten mehrfarbige Leuchten dran, und diese mit einer ganzen Leiste LED-Strahler gepimpt. Wahrscheinlich fehlen ihm dafür die Bremsen.
Gegen Sieben erreichen wir die ersten Hotels, und endlich führt uns die altbekannte Abzweigung nach links Richtung Andasibe und zum Feon’ny Ala. Dimby hat dankenswerterweise dafür gesorgt, dass alle Bungalows in der untersten Reihe liegen und niemand weit laufen muss. Draußen empfängt mich ein feiner Nieselregen, eher wie ein bisschen Nebel in der Luft, und das beruhigende Quaken hunderter Frösche. Sie quaken im Chor mit einem Haufen Grillen, Zikaden und dem Gebell der Nachbarhunde. Die frische Luft tut gut, im Bus war es ziemlich stickig geworden. Der Himmel wird immer wieder von Blitzen erleuchtet, noch hört man jedoch kein Gewitter. Es ist eher ein Wetterleuchten.
Ich packe meine Sachen ins Bungalow, hänge alle Akkus an die Steckdosenleiste – hier hält die Stromversorgung das aus – und geselle mich zu Tanala und den anderen ins Restaurant. Erst scheint die Terrasse leer zu sein, aber dann taucht doch noch eine größere Gruppe junger Franzosen mit Öko-Frisuren auf, und zwei Pärchen sowie eine einsame Chinesin erscheinen ebenfalls noch zum Abendessen. Ich bestelle Fresh und Zebu Sandwich, während die Franzosen samt Stirnlampen zur Nachtwanderung auf der Straße aufbrechen. Leider kommt statt Zebu ein vegetarisches Sandwich (in dem das Zebufleisch durch eine Menge Möhren und Bohnen ersetzt wurde), was direkt wieder in die Küche wandert und durch den “richtigen” Belag (Zebu, Tomaten, Salat) ersetzt wird. Langsam nähert sich grollender Donner, und es beginnt zu tröpfeln. Ich wage zu vermuten, dass die Franzosen gleich…. Ach, da sind sie schon! Es hat begonnen zu schütten, und durch die Bäume sehe ich hektisch rennende Stirnlampen leuchten.
Fünf Minuten vor Neun gehen die Lichter aus. Einer der neueren Kellner fragt noch, ob jemand ein Dessert möchte, beschließt aber dann bei Holen der Karte, dass der Koch bereits gegangen ist. Kann passieren. Das Restaurant schließt pünktlich, seit es so viele Gäste hat. Auch in der Nebensaison. Also verabschieden sich alle zügig zu ihren Bungalows, die klebrigen Klamotten wollen gegen eine warme Dusche getauscht werden. Der Preis der ersten Reihe Bungalows übrigens: Man muss 20 Minuten auf warmes Wasser zum Duschen warten. Oder es bleibt eben ganz kalt, so wie heute. Haben wohl schon zu viele Gäste geduscht. Oder ich warte nicht lange genug.