Noch im Dunkeln stehe ich auf und packe meine Tasche um. Schlafsack, Luftmatratze und Wein bleiben in Tana. Müde sitze ich auf den Stufen vor dem Hotel und warte. Sieben Minuten zu früh taucht Christians lila Bus vor den Toren des Hotels auf. Der Nachtwächter öffnet die Tore und Christian setzt den Bus rückwärts in die enge Einfahrt. Wir verladen das Gepäck auf’s Dach, uns los geht es. Und wir fahren, fahren und fahren… Erst nach einer Stunde verlassen wir überhaupt das immernoch massiv überschwemmte Tana. Die Zeit scheint überhaupt nicht zu vergehen.
Damit wir nicht den ganzen Tag nur fahren, sondern auch ein paar Chamäleons sehen, legen wir einen Stopp in der Nähe von Vohimana im östlichen Hochland ein. An einem Schotterweg halten wir an, nebenan liegt eine Bananenplantage, von denen es hier reichlich gibt. Zwei Jungs aus einem nahen Dorf entdecken uns und suchen direkt los. Nach wenigen Minuten haben sie ein rotes Pantherchamäleon entdeckt, allerdings ist es verletzt. An einer Hand sind Zehen abgerissen. Leider haben wir heute keinerlei Zeit, das hätte man wunderbar nähen können… Christian findet mit seinen Adleraugen noch ein paar Jungtiere, auch ich finde eins mitten im wilden Ingwer. Ein kleines rosa Chamäleon, das mich mit seinen niedlichen Augen anstarrt, um dann in die Tiefen des Ingwers zu flüchten. Weniger erfreulich ist ein weiterer Fund von Furcifer pardalis mitten auf der nahen RN2: Das Tier ist wohl unter Autorreifen gekommen, nur ein matschiger Klumpen Haut und Eingeweide ist übrig geblieben. Armes Ding.
Der nächste Halt des Tages führt uns zum Mittagessen in ein kleines, madagassisches Restaurant. Die kleinen Tische sind mit grau-blauen Plastiktischdecken gedeckt, wackelige Holzstühle stehen drumherum. Christian, José, Rapha und Dimby bestellen die üblichen Reisgerichte. Da ich weder solche Unmengen Reis verdrücken kann noch wirklich großen Hunger habe, laufe ich zu einem der vielen benachbarten Obststände. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt. Ich kaufe drei schmale, hohe, aus Bast gelflochtene Körbe, die mit frischen Bananenblättern ausgelegt sind. Sie sind bis oben hin voll mit lilanen, stacheligen Rambutan. Pro Korb zahle ich 1000 Ariary. Außerdem erstehe ich nach eifrigem Handeln eine ganze Bananenstaude für 2000 Ariary. Die mit den kleinen, superleckeren Minibananen. Das Obst ist nicht nur für mich, ich sorge auch für unser nächstes Reiseziel vor.
Irgendwann, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, biegen wir auf die Lehmpiste Richtung Manambato ab. Hinter uns fahren ein Geländewagen und ein Hyundai Starex, können uns aber mangels Platz nicht überholen. Der Bus rumpelt langsam voran, Hügel rauf und Hügel herunter. Überall wird brandgerodet, rechts und links ziehen Rauchschwaden vorbei. Unmengen Ravenalas stehen überall – sie sind überall da zu finden, wo nur noch Sekundärvegetation wächst. Als wir den kleinen, niedrigen Fluss erreichen, wird gerade zu unserer linken eine eingestürzte Holzbrücke wieder aufgebaut. Der hintere Teil der Brücke hängt trotzdem bereits verdächtig durch, die Pfosten darunter stehen schräg. Einen Mopedfahrer, der uns gerade eingeholt hat, stört das keinesfalls. Er fährt einfach über die wackelige Brücke und „überholt“ uns damit. Christian lenkt den Bus durch das flache Flussbett. Da es gestern und heute trocken war, gelingt das diesmal ohne Probleme. Gegen zwei Uhr mittags sind wir endlich in Manambato. Am Strand des Acasias wartet Jocelyn mit dem großen, weiß-blauen Boot auf uns. Auf dem See der Könige wird es etwas wellig, daher lässt Jocelyn die Planen zu beiden Seiten des Bootes herunter. Jetzt seh ich gar nix mehr. Dafür werde ich nicht nass, der ganz vorne sitzende José dafür umso mehr. Als wir in den Canal des Pangalanes fahren, werden die Planen wieder gelüftet. Die Sonne scheint warm ins Boot hinein und ich genieße die ruhige Fahrt entlang des Kanals. Die Oberfläche des Wassers kräuselt sich leicht, sanfte Wellen laufen an den Ufern des Kanals ins Grüne aus. Hier und da stehen Frauen im Wasser, die gerade Fischnetze auswerfen. Kinder spielen am Ufer, ein paar Enten schwimmen dazwischen herum.
Als es gerade dunkel ist, treffen wir am Steg des Akanin’ny Nofy ein. Sylvain wartet schon auf uns. Er hat sich das Haar wachsen lassen und sieht jetzt quasi aus wie Lenny Kravitz. Nur kleiner. Und seine Angestellten haben das irgendwie gut gefunden, und gleich nachgemacht. Das Palmarium hat also jetzt drei, vier oder fünf Lenny-Kravitz-Verschnitte in der Küche und im Service.
Ich stapfe über den Sandstrand und die Stufen zu den Bungalows/Restaurant nach oben. Tanala und ich haben diesmal Bungalow Nr. 6. Es ist riesig, hat neben dem großen Doppelbett noch ein zusätzliches Einzelbett (da landen die Koffer drauf) und von der Terrasse hat man sogar Aussicht auf den See. Total toll. Ich fläze mich nach einer Dusche erstmal in die Hängematte, die jedes Bungalow vor der Türe hängen hat. Lemuren habe ich noch keine gesehen. Ein bisschen Wind geht, aber es ist ziemlich schnell stockfinster. Ich verstaue mein Obst sicher hängend an der Garderobe im Bungalow. Das sichert es vor Ameisen, Ratten und übereifrigen Lemurenhänden. Ich schlendere zu den Schildkröten herüber, und teile mir zur Feier des Tages eine Banane mit den noch wachen Herrschaften. Das ist nicht sonderlich gesund, aber sonst gibt es ja auch keine. Lieber noch ein paar mehr Hibiskusblüten. Dann führt mein Weg relativ direkt mit Tanala ins Restaurant. Rémis tischt sehr leckere Zebu-Brochettes und selbst gemachte Pommes fritte auf. Mit selbst aus eigenen Tomaten hergestelltem Ketchup. Enorm gut, so ein wunderbares Palmariumsmenü.
Abends sitzen Tanala und ich lange mit Sylvain zusammen. Martin kommt dazu. Ich bestelle einen Punsch Coco nach dem anderen bei Bruno. Das Getränk wird frisch hergestellt, was ziemlich dauert, und ist noch warm, wenn es mit einem kleinen Zuckerrand am Glas und einem Anananasschnitzen dekoriert serviert wird. So lecker! Und gut, es ist auch reichlich Rum drin. Sylvain gibt diverse pure Vanillerum aus, wobei ein einzelner eher einem dreifachen normalen Rum entspricht. Irgendwo zwischen Rum und Gesprächen über zu sterilisierende Lemuren kommen wir auf die Idee, dass wir den Bereich hinten am Krokodilsee, wo keine Bäume mehr stehen, aufforsten könnten. Quasi unser eigenes Aufforstungsprojekt. Warum eigentlich nicht? Man sollte doch sowieso mal eine Verbindung zwischen dem Palmarium und dem Annexe schaffen, so dass die Lemuren mehr Platz haben. Einen Namen haben wir auch gleich: Ala kely, zu Deutsch kleiner Wald. Sylvain ist sofort dabei. Er kennt sogar eine nahe gelegene NGO, bei der man die Setzlinge dafür kaufen könnte. Ein Baum oder nein, ein kleiner Setzling kostet 1000 Ariary, Edelhölzer je nach Art etwas mehr. Tanala, Martin und ich zücken ein paar Scheine, und schwuppdiwupp kommen mal eben 100 Bäume zusammen. Sylvain verspricht, sich zu kümmern. Wir stoßen gemeinsam darauf an. So geht das mit dem Aufforsten auf Madagaskar. Ganz unkompliziert.
Irgendwann, es ist kurz vor zwölf Uhr nachts und für Madagaskar reichlich spät, wandele ich mit seligem Grinsen in Richtung Bungalow zurück.