Die Nacht war megawarm. Nein, heiß. Rich-tig heiß. Affenhitze. Trotz der Klimaanlage und einem laut scheppernd rotierendem Ventilator an der Decke. Es gab übrigens – wie immer in Ambilobe – doch noch ein paar Stromausfälle in der Nacht. Aber, oh Wunder, diesmal wurde das Notstromaggregat quasi simultan angeschaltet. Als das Wummern des Aggregats langsam verebbt und es hell wird, stehe ich auf. Eine recht große Schabe wohnt seit heute Nacht im Bad. Ich habe sie Elvis getauft. Leider will Elvis heute Morgen einen Ausflug in Tanalas Gepäck unternehmen, weshalb er kurzerhand vor die Tür gesetzt wird. Unser Raum hat außerdem ein kleines Termitenproblem. Überall rieselt schwarzbrauner Staub von der Holzdecke herunter. Wie feiner Sand sind alle Fliesen davon bedeckt. Ich dusche ohne Elvis, dafür mit einem Hauch mehr Wasser als gestern.
Kurz vor Acht verlassen Tanala und ich das Hotel, treffen auf Chrissi, Katja, Markus, Dimby und die anderen im Hof und laufen gemeinsam zum Restaurant hinüber. Im Staub vor der steinernen Balustrade der Restaurantterrasse liegt ein alter BH. Ich lasse mich auf einen freien Holzstuhl fallen und fische eine in Plastik eingeschweißte Karte vom Nachbartisch. Eigentlich frühstücken wir in Ambilobe immer auf dem Markt, leider ist aber heute Ostersamstag und es wird gerade umgebaut. Quasi doppelt geschlossen. Auf dem Markt gibt es Mofo Sauce, das erste Wort madagassisch, das zweite französisch ausgesprochen. Es ist Baguette mit Hackfleischsauce. Das gibt es aber auf der Karte eines Restaurants eher nicht. Ich entscheide mich letztendlich für ein Gericht namens Khimo, ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Irgendwas mit Rind.
Nach anderthalb Stunden haben alle gegessen, nur mein Frühstück lässt auf sich warten. Ich vermute, dass das Restaurant nur über eine einzige Pfanne verfügt, in der zuerst alle bestellten Omelettes, dann alle Crepes gemacht wurden. Ein Fruchtsalat aus Avocado und Banane ist ebenfalls schon an mir vorbei gewandert. Und dann, nach immerhin ziemlich genau einhundert Minuten, kommt mein Frühstück doch noch. Es entpuppt sich als Mofo Sauce zur Selbstmontage, will heißen jede Menge Reste von Baguettestücken und ein Tellerchen mit Hackfleischsauce. Und es schmeckt hervorragend.
Als ich auch endlich fertig bin, brechen wir auf Richtung Sirama. Wir folgen dem Asphalt bis an eine kleine, unscheinbare Kreuezung. Die Straße, über die wir nun langsam dahin rumpeln, ist eher eine lehmige Piste. Jede Menge Zebus und fast ebenso viele Ziegen kommen uns entgegen. Gemächlich trotten sie durch die sengende Hitze, Fliegen schwirren um sie herum. Ein kleiner Junge in grüner Hose, sonst nichts am Leib, treibt ein paar Schafe durch ein Wasserloch, das früher vermutlich mal ein Schlagloch war. Er schwitzt gar nicht. Oder kaum. Ich schon, obwohl ich im Auto sitze und die Piste nicht laufen muss. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt hatte, aber es ist wirklich sehr heiß. Sehr, sehr heiß… Über eine gute Stunde zuckeln wir auf der Buckelpiste entlang. Reisfelder begleiten uns zu beiden Seiten der Straße, dazwischen ab und zu ein Mangobaum.
Irgendwann werden wir doch noch fündig. In einem kleinen Busch direkt neben der Straße sitzt ein adultes Pantherchamäleon-Männchen, und ein zweites sitzt in einem niedrigen Baum direkt dahinter. An der Straße wird es jetzt grüner, und die Büsche sind deutlich höher als ich. Die tiefen Pfützen verraten, dass die Trockenzeit noch keinen Einzug gehalten hat und das Land entsprechend noch grünt und blüht.
Ein Jungtier findet sich auf der gegenüber liegenden Straßenseite noch ein. Die beiden Männchen sind allerdings nicht die gesündesten. Das erste ist so müde und geschafft, dass es fast vom Ast fällt und José es schnell wieder zurück auf seine Pflanze setzt. Das zweite hat fiese Maulfäule. Ich frage mich, ob ein gewisser Exporteur, der heute Morgen gegenüber des Restaurants sein Unwesen trieb, wohl etwas mit der extrem geringen Dichte hübscher und vor allem gesunder Pantherchamäleon-Männchen hier in der Gegen zu tun hat? Die Frage bleibt unbeantwortet. Ein weiteres, schwer angeschlagenes Furcifer pardalis findet einer der Jungs. Es hat dicke Abszesse an beiden Knien und einem Ellbogen, einen schwarz verfärbten Schwanz und diverse Narben am Körper. Ein alter Haudegen, den es ganz schön erwischt hat in dieser Regenzeit. Das Leben in der Wildnis ist eben nicht romantisch und schön. Es ist hart, es gibt eine Menge unschöner Verletzungen und Erkrankungen, und gestorben wird auch.
Etwas weiter in Richtung Sirama in einem kleinen Hüttendorf voller großer Tamarindenbäume sind dann doch noch einige schön gefärbte Jungtiere zu finden. Inzwischen haben wir längst die Aufmerksamkeit der Leute auf uns gezogen. Komische Vazaha, die Chamäleons anfassen und Schlangen aus dem Graben ziehen, da gibt’s was zu gucken! Scharen von Kindern tummeln sich neugierig an der Straße. Sie lachen, kichern und gehen misstrauisch ein paar Schritte zurück, wenn man ihnen ein Tier näher zeigen möchte. Und auch von den Erwachsenen bleibt fast jeder stehen, der gerade zu Fuß vorbeiläuft oder mit dem Fahrrad des Weges kommt. Zeit hat hier jeder. Nur ab und zu rumpelt ein altersschwaches, überladenes Auto vorbei. Ich verteile Malbücher an einen Haufen Kinder, die zusammen mit drei Frauen unter einem ausladenden Baum im Schatten sitzen. Zögerliches Lächeln, man ist hier nicht ganz so herzlich Fremden gegenüber wie im Hochland oder an der Ostküste.
Ich sitze inzwischen auch im Schatten und schwitze vor mich hin. Schatten meint hier, dass es trotzdem gute 35° hat, und staubig ist es auch. Die Tiere sind aber wie immer hier der Wahnsinn. Leuchtende Farben, wohin das Auge blickt, und selbst die jüngsten Chamäleons trumpfen schon mit den ersten bunten Stellen auf. Pantherchamäleons – so gut ich sie inzwischen kenne – sind einfach immer wieder spannend und toll. Diese Farbvielfalt und Variation innerhalb einer Art gibt es bei den anderen Chamäleons schlicht nicht.
Es ist nach Mittag und längst noch heißer als heiß geworden, als ein gewisses Auto zum Aufbruch drängt. Jemand muss wegen eines Emergency Poop ganz dringend zurück ins Hotel, weil der Busch mit noch mehr Büschen als Sichtschutz drum herum nicht ausreichend zum Toilettengang sind. Wüsste das einer der hier lebenden Madagassen, sie würden uns vermutlich lauthals auslachen. Außerdem hat ein gewisser Wolf den Emergency Pooper von jeglichen Aktivitäten außerhalb des Autos abgehalten, was ich persönlich sehr schade finde. Weniger wegen des lustigen Ganges als deswegen, weil man im Auto hier doch fast alles verpasst.
Aber Mika nimmt seinen Schützling ernst und lenkt das Auto wieder zurück Richtung Ambilobe, auf der Suche nach dem nächsten Klo. Hinter dem Hüttendorf von Ankingameloka biegen wir plötzlich rechts ab, auf eine weitere Piste. Nach wenigen Minuten erreichen wir eine riesige, betonierte Fläche. Zwischen den monströsen Platten wächst das Gras hervor, am Ende des Betons steht ein verfallener, kleiner Turm. „It’s a shortcut via the old airport!“, ruft Dimby noch, dann gibt er Gas. Die Jungs liefern sich auf der alten Landebahn, die längst nicht mehr in Benutzung ist, johlend und lachend ein kleines Autorennen. Wir kommen kurz vor der kleinen Eisenbrücke wieder heraus, und haben uns damit einen guten Teil der Wasserloch-Buckelpiste gespart.
Anscheinend erreichen wir rechtzeitig das Hotel, denn zumindest reinigt danach niemand das Auto. Ich lade mit den anderen meine Batterien auf und trinke innerhalb weniger Minuten erst eine Flasche Soda, eine Art Orangenlimonade, und eine ganze Flasche Crystal. Die Getränke schießen förmlich wieder zu den Poren in der Haut hinaus.
Mit Ines gehe ich, den Fielguide auf dem Esstisch liegend, die Bilder des Tages durch. Hinter mir an einer einsamen Steckdose hängen gefühlt zwanzig Kabel an einer einzigen Steckdose, auch meine Kamera-Akkus laden gerade. Am Abend fahren wir alle gemeinsam gemütlich nach Ambilobe rein. Wir halten an einer Bretterwand, hinter der sich eine hallenartig große Kneipe verbirgt. Auf wackeligen Holzhockern nehmen wir Platz, essen Brochettes frisch vom Grill und haben einen schönen Abend. Es ist ohrenbetäubend laut, Musik donnert aus den Boxen, und unheimlich viele Menschen sind unterwegs. In der Disco quer über die Straße werden gegrillte halbe Hühnchen versteigert, um dann Telefonnummer williger junger Damen über Lautsprecher in die Welt zu trompeten. Das scheint ein Privileg zu sein, denn es wird sich bei der Bieterei um das Hühnchen fröhlich überboten. Ambilobe hat schon seinen ganz eigenen Charme.