Der Tag beginnt mit einem Sandwich complét, was soviel heißt wie: Alles, was in der Küche aufzutreiben war, hat den Weg auf mein Baguette gefunden. Inklusive einer Art Mayonnaise, die aber, wie mir versichert wird, soviel Konservierungsmittel enthält, dass die garantiert nicht umkippt. Und rohe Eier sind da sowieso nicht drin. Naja, mein Magen hat letztes Jahr auch schon rohes Ei in Tagliatelle à la Carbonara überlebt.
Eigentlich wollen wir – und das freut besonders Lars – heute zu einem kleinem Stück Regenwald fahren, wo man besonders gut Buntfröschchen finden kann. Die Betonung liegt dabei auf dem eigentlich. Denn wir kommen nur bis zu einer Kurve mit besonders hübscher Aussicht auf den Fluss, kurz vor dem gestern schon erwähnten riesigem Loch in der Straße. Das Loch ist schon seit Januar in der Straße, ein kleiner Erdrutsch während der Regenzeit. Repariert wurde es bisher nicht – wozu auch, man kann ja einfach Metallplatten darüber legen. Und Baumstämme. Die Metallplatten zum Abhang hin rutschen offenbar ab und zu in die Tiefe, denn dort liegt bereits eine der Platten. Und für LKW und Taxibrousse sind die provisorischen Hilfsmittel wohl auch nicht ausgelegt. Bei jedem Fahrzeug, das das Loch in der Straße überquert, ächzen und knacken die Platten bedenklich.
Dimby entdeckt ein Pärchen von Calumma crypticum und bevor jemand in den Bus einsteigen kann, haben Rapha und Christian zwei wunderschöne Calumma oshaughnessyi im Wald gefunden. Was ein Glück, dass wir so viele Tiere am hellichten Tage schon hier finden! Nachts findet man sie viel leichter. Dafür leuchten bei Tag die Farben der Tiere noch schöner. Eine ganze Weile verbringen wir an diesem eigentlich ungeplanten Zwischenstop mit dem Beobachten und Fotografieren der Chamäleons.
Schließlich kommen wir doch noch zu dem Feldweg am Regenwald. Der Weg führt hinter einer kleinen Schranke – die sich erst öffnet, nachdem Diamondra kurz mit einem kleinen, alten Männchen in einer Hütte spricht – zwischen zwei Bächen geradeaus. Wilder Ingwer wächst in der Senke zwischen Bach und Wald. Tatsächlich finden wir heute hier keine Frösche, dafür einen der Bäume, der von Giraffenhalskäfern als bevorzugte Futterpflanze genutzt wird. Und wo einer der skurrilen Käfer sitzt, sind natürlich noch mehr. Unzählige der winzigen Tierchen krabbeln auf dem Baum herum. Martin entdeckt noch eine kleine Besonderheit auf dem wilden Ingwer: Eine kleine Spinne namens Phrynarachne rugosa. Sie tarnt sich als Vogelkot. Kommt ein Insekt zu nahe, greift sie zu. Ein interessantes Tierchen, das ich glatt übersehen hätte.
Zum Mittagessen sind wir im Hotel zurück, wo eine Gruppe Franzosen bereits auf der Veranda sitzt. Sie machen sich gerade in Richtung Wald auf und tragen fast alle Klebeband um die Füße. Den Sinn dieser merkwürdigen Marotte können sie leider nicht erklären. Gegen Blutegel dürfte das jedenfalls nicht helfen…
Für uns geht es nochmal in die andere Richtung die Straße entlang, bis in ein kleines Dorf oder vielmehr ein paar Hütten mit Zaun drumherum. Der Chef des Dorfes trägt inzwischen eine schicke Bügelfaltenhose und ein weißes Hemd und eine Uhr am Handgelenk. Offensichtlich lohnt sich das „Chamäleon retten“ auch finanziell. Viel gibt es allerdings heute leider nicht zu sehen, lediglich ein ramponiertes Männchen und ein älteres Weibchen von Calumma parsonii parsonii finden sich in den umliegenden Bäumen am Bach.
Auf dem Rückweg halten wir an einem kleinen Stand, an dem Ananas fein säuberlich aufgereiht zwischen Holzstangen hängen. Markus entdeckt einen Taggecko zwischen den Ananas, die anderen inklusive mir futtern lieber die süßen, tief gelben Früchte. Dimby, Christian und ich verteilen Malbücher zwischen den angrenzenden Hütten, auch wenn nicht alle Kinder der hier wohnenden Familien anwesend sind. Auf Nachfrage zählt eine Frau in Gedanken kurz durch und sie bekommt noch einen ganzen Stapel Malbücher und Buntstifte für die Kinder, die noch in der Schule sind.
Am Abend brechen wir endlich zur Nachtwanderung auf. Es ist relativ trocken für Ranomafana und ich bin sehr gespannt, welche und wie viele Tiere wir finden werden. Bei feuchtem Nieselwetter hat man in der Regel mehr Glück, kann aber die Kamera kaum auspacken. Nach einer guten halben Stunde kurviger Straße hält Christian den Bus an und wir steigen aus. Tatsächlich findet sich in der ersten halben Stunde „nur“ ein Calumma cf. nasutum, ein kleines Chamäleon mit rundem Nasenfortsatz. Es folgen viele Meter weiter oben ein Calumma fallax und zwei dunkel gefärbte Boophis albilabris, die bei Lars und Jutta für große Freude sorgen. Martin und Markus sind mit ihren Teleobjektiven auf der Suche nach Mausmakis. Später finden sich im dichten Gebüsch noch ein Calumma glawi, männlich, und das dazu passende Weibchen einige Meter weiter ein.
Diamondra ist voller Zuversicht, heute noch Palleon nasus zu finden – ein eher seltenes Erdchamäleon, das sich von den anderen Erdchamäleons der Insel stark unterscheidet. Rein optisch sieht es eher den Stummelschwanzchamäleons vom Festland Afrikas ähnlich. Ich würde gerne eines entdecken. Diamondra zeigt mir eine Stelle mit kniehohem Gras zwischen Farnen – hier soll man die Erdchamäleons am besten finden. Tief gebückt schleiche ich hinter ihm her und suche mit der Stirnlampe die Grashalme ab.
Diamondra geht gerade gebeugt entlang einiger Farne hinter dem Graben entlang, als ich direkt neben ihm eine rot-schwarze Schlange anleuchte. „There’s a snake!“, sage ich überrascht, und Diamondra antwortet eher lapidar „Yes, yes, a snake…“ – wir suchen schließlich Chamäleons. Dann versucht er aber doch, das Tierchen einzufangen, was sich als nicht ganz einfach erweist, weil sie einen gewissen Drang hat, in den Erdboden zu verschwinden. Schnell ein paar Fotos gemacht, dann kann der rot-schwarze Gardena-Gartenschlauch seine nächtliche Jagd fortsetzen.
Langsam bewegen wir uns weiter entlang des Straßenrandes nach oben. Inzwischen sind wir über drei Stunden unterwegs – zu Fuß, versteht sich – und der ein oder andere würde sich langsam lieber Richtung Bett aufmachen. Gut, es ist vielleicht auch ein wenig unverständlich, warum man ausgerechnet ein kleines, beige-braun gefärbtes Chamälein wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen muss. Nachts.
Doch ich habe Glück. Diamondra findet weit, weit oben an der Straße schließlich doch noch Palleon nasus. Es sind sogar zwei Tiere, die nur einen halben Meter voneinander entfernt schlafen. Das eine hängt kopfüber an einem winzigen, nur an einem seidenen Faden hängenden Ästchen, das andere schläft mit Bauch nach oben und Rücken zum Boden an einem Grashalm. Wow, was ein Fund! Ich muss mich allerdings ein bisschen beeilen, denn nach diesem Fund kehren wir dann doch so langsam um. Während wir fotografiert haben, hat Diamondra allerdings rund zehn Meter weiter noch ein Brookesia thieli gefunden. Das muss ich natürlich auch schnell noch fotografieren… und dann geht es endlich doch noch zurück, in Richtung Bett und Schlaf.