Der Tag beginnt zwar heute relativ spät, aber schon um acht Uhr morgens ist das Klima völlig unerträglich. Es ist locker über 35°C warm und die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass es eigentlich jeden Moment regnen müsste. Ein Dampfbad ist nichts dagegen! Das Frühstück, frische warme pain auch chocolat und heißer Tee, hilft nur wenig. Die Rechnung für die letzten Tage muss auch noch gezahlt werden. Während ich darauf warte, dass der Hotelangestellte einen Zettel beschriftet und nacheinander aus einem Wust an herumfliegenden Zetteln die richtigen herauszufinden versucht, kraule ich eine kleine rote Katze, die mir um die Beine streicht. Irgendwann ist die Rechnung fertig, ich zahle und muss dann nochmal meine Rechnung zurückgeben, denn auf bezahlte Rechnungen muss ja noch ein Hotelstempel. Links von der Ladentheke werden Kleinigkeiten wie Honig, Kekse, Bonbons und auch Marmelade verkauft. Ich erkenne die Tamarindenmarmelade aus Camp Mantella wieder – und kaufe mir eine. Auch dieses Glas ist liebevoll mit Tesafilm „versiegelt“.
Nach dem Frühstück folgt mir eine freundliche Frau ins Bungalow, drückt mir eine Rechnung in die Hand und ich peile erstmal nicht, dass sie mir eigentlich die Wäsche geben möchte. Extrem stinkende, feuchte Wäsche von zwei Personen waschen zu lassen kostet 24.000 Ariary (ungefähr 7 €), und sogar gebügelt haben sie alles. Die frisch gebügelte Wäsche muss leider direkt in den wenig ordentlich gepackten Rucksack. Außerdem habe ich ein paar Socken vergessen abzugeben, und die stinken so unglaublich, dass sie mehrheitlich vor der Tür ausgelagert waren – jetzt müssen sie für den Flug irgendwo in den Rucksack. Die Stinkesocken kriegen eine eigene Außentasche für sich und ich hoffe, dass die frisch gewaschene Wäsche heute Abend auch noch einen Hauch von Frische hat. Diese Taschenpackerei dauernd nervt irgendwie. Aber schließlich ist alles verstaut und liegt brav vor dem Bungalow, bereit zur Abfahrt. Der Bus kommt aber erst später, daher suche ich im Hof nach den Pantherchamäleons von gestern und versuche, die Herrschaften auszumessen und zu wiegen. Wie erwartet sind die Gewichte nicht sonderlich hoch, über 100 Gramm kommt keiner. Ich plaudere mit Frank, Björn und den beiden Österreichern.
Gegen elf Uhr steht unser lila Bus wieder im Hof. Die Rucksäcke, Taschen und Koffer werden auf dem Dach zusammengeschnürt. Tanala und ich quetschen uns neben den Fahrer, die Fotorucksäcke auf dem Schoß und ganz oben liegt noch der schwarze Ordner für Sylvain. Wir gurken zum kleinen weißen Flughafengebäude, und ich bin eigentlich ganz froh, aus dieser unerträglichen Hitze herauszukommen. An den Strommasten und Zäunen direkt am Flughafengebäude haben unendlich viele Nephila ihre Netze gespannt. Zu Hunderten sitzen sie darin, irgendwie ein bisschen gruselig. Aber gegen die Spinnen aus Camp Mantella sind das ja nette Tierchen, zumindest bewegen sie sich nicht so schnell aus ihren Netzen raus.
Nach und nach checken alle ein und bekommen ihr Ticket. Die Stewardess am Schalter weist mich noch darauf hin, dass ich meine an den Rucksack gebundenen Schuhe bitte noch irgendwo unterbringen muss. Die Hühner der Dame hinter mir werden vermutlich ein geringeres Problem darstellen. Leider ist mir immernoch schummerig und deshalb setze ich mich lieber nach draußen zum Warten, neben einem der weißen Pfeiler ist ein wenig Schatten. Thorsten bringt mir eine Fanta nach draußen – lustigerweise Ananas-Geschmack, ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Ich beobachte das Treiben vor dem Flughafen. Viel passiert nicht. Menschen kommen und gehen, steigen aus und in Taxis ein. Die Mode ist hier etwas eigenartig. Von der 20 bis zur 60jährigen, die (durchaus recht beleibten) Madagassinen stehen anscheinend auf Neonfarben und extrem enge Shirts genauso wie kurze Röckchen. Eine schätzungsweise 30jährige Madagassin im extrem engen und kurzen pinken Kleidchen hat eine maximal achtjährige Tochter dabei, die ebenfalls High Heels und einen Rock trägt, der an Freizügigkeit nur noch durch Nacktheit zu überbieten wäre. Das ist irgendwie ein bisschen….naja. Müsste nicht sein. Die Hitze ist selbst im Schatten der pure Wahnsinn.
Nach fast zwei Stunden ertönt eine laute Sirene. Vermutlich das Zeichen, die Zebus von der Landebahn zu treiben, denn ein Flugzeug ist noch nicht in hörbarer Reichweite. Tatsächlich dauert es noch eine halbe Stunde, bis überhaupt etwas landet, und noch eine weitere halbe, bis wir endlich einsteigen dürfen. Meine Laune sickert passend zu meinem brummenden Kopf irgendwo auf Bodenniveau herum. Wenigstens ist die Klimaanlage im Flieger an und die Luft wird angenehm. Kaum sind wir in der Luft, setzt die kleine Propellermaschine schon wieder zum Landeanflug an. Ein Blick nach unten lässt mich etwas die Luft anhalten. Die Landebahn ist winzig, vielleicht 300 Meter lang, biegt sich in der Mitte nach oben und ist zur Hälfte von Gras überwuchert. Aber der Pilot kann offensichtlich fliegen, denn wir landen ohne Zwischenfall. Das Flughafengebäude ist noch winziger als das in Sambava, ebenfalls weiß und sehr allein auf weiter Flur. Als ich aussteige, atme ich erstmal tief ein – die Luft ist soooviel besser hier! Es ist angenehm warm und ein kleines Lüftchen geht. Hier kann ich bleiben. Ich gehe einmal quer durch die kleine Halle und setze mich davor auf die Stufen. Eine Schar kleiner Kinder kommt von einer Hütte, die Souvenirs wie bunte Basthüte und Taschen anbietet, angelaufen. Ich gebe ihnen ein paar der Luftballons, die ich noch im Rucksack habe. Und unseligerweise zeigt Thorsten ihnen, wie man mit dem noch offenen Luftballon laut quietschen kann. Die nächsten zwanzig Minuten quietschen, tröten und quäken die Kinder um die Wette.
Als ich mein Gepäck abhole, schauen mich aus der Halle zwei riesige dunkle Augen an. Ein pummeliges Baby auf dem Arm seiner Mutter beobachtet neugierig die Vazaha mit der komischen Hautfarbe und dem vielen Gepäck. Mit seinen niedlichen Speckröllchen sieht es ein bisschen aus wie ein Marshmallow. Ich sage ihm vorsichtig Salama und winke, und das kleine Marshmallowbaby fängt an zu lachen. Wir passen nicht alle zusammen in den Bus, deshalb holt uns zusätzlich noch ein kleiner blauer Renault ab. Die Zelte und ein paar Rucksäcke werden in den Renault geladen, der Rest landet auf dem Dach des Busses. Als ich einsteige, entdecke ich erstmal diverse wirr zusammengesteckte Kabel, die unter dem Handschuhfach hervorschauen. Falls der Schlüssel mal weg ist, kann man den Bus wohl auch per Hand starten. Unter dem Rückspiegel hängt ein noch in die Plastikfolie eingepacktes Duftbäumchen, das während der Fahrt hin- und herschwankt. Ein roter Sandpfad führt uns auf eine asphaltierte Straße – oder das, was von der irgendwann mal asphaltierten Straße noch übrig ist. Löcher, ausgebrochene Kanten und eine Menge Sandlöcher pflastern den Weg. Auch die Stahlbrücke sieht wenig vertrauenserweckend aus, aber sie hält den Bus locker aus. Die Straße ist ein riesiger Kontrast zu der sie umgebenden Natur: Alles um mich herum ist grün und frisch und dicht bewachsen.
Maroantsetra gefällt mir auf Anhieb. Die Stadt lebt und pulsiert, überall sind Menschen. Direkt rechts hinter dem Ortseingang liegt ein großer Markt, auf dem Obst, Snacks und allerlei Krimskrams angeboten wird. Viele Gebäude sind mit in der Sonne etwas ausgebleichten bunten Brettern gebaut, was aussieht wie original Saloons aus alten Westernfilmen. Hier und da fährt ein Unimog, schwer beladen mit Taschen, Reissäcken und sicher 20 Menschen, an uns vorbei. Das sind hier die Ersatzfahrzeuge für die Taxibrousse, denn der Landweg zu allen größeren Städten der Umgebung, allen voran Toamasina (Tamatave), ist mit normalen Fahrzeugen überhaupt nicht zu meistern. Der Fahrer erzählt, dass es selbst mit dem Unimog bei gutem Wetter fünf Tage dauert, um die 450 km zu schaffen. Um Straßenbau kümmert sich hier niemand, und das schon seit Jahrzehnten. Touristen verirren sich entsprechend selten hierhin, obwohl Masoala der größte zusammenhängende Nationalpark Madagaskars ist.
Die Straße nach und durch Maroantsetra endet mitten in der Stadt in Sand und Steinen. Es geht einen kleinen Hügel nach oben zu einer großen Brücke, dahinter geht es steinig und löchrig nach unten auf einem Sandweg weiter. Links am Fluss liegt ein kleiner Hafen. Nur einige Meter weiter rechts geht es zu unserem Hotel, dem Coco Beach. Weiße Hütten mit Palmblattdächern begrüßen uns. Das Hauptgebäude ist recht groß und verfügt über eine schöne helle, überdachte Terrasse direkt am Fluss. Der betonierte „Balkon“ davor hängt allerdings schon reichlich schief und gerade jetzt, wo die Flut das Wasser in die Flussmündung schiebt, steht es schon auf dem Betonboden. Links der Terasse liegt ein kleiner Garten mit diversen eingetopften Pflanzen, ein paar Palmen und Orchideen. Inzwischen ist es Nachmittag und ich bestelle, ohne wirklich zu wissen was vom Hühnchen genau es ist, „beignet des poulets“. Jetzt ist Zeit, zu entspannen. Die nackten Füße in der Luft, bequem in einem der Sessel mit dunklem Holz und dicken hellen Polstern sitzend, lässt sich das Leben doch genießen. Ich beobachte einen Fischer in seiner Piroge auf dem Fluss, der wenige Meter vor der Terasse seine Reusen nach und nach aus dem Wasser holt, kontrolliert, ein paar kleine Fische herausnimmt und die Fangbehälter wieder zurück in die Flut versenkt. Direkt neben dem Balkon des Hotels ist ein schmaler Holzsteg, dessen Bretter gerade von ein paar Madagassen ausgebessert werden. Mit sehr rudimentären Werkzeugen schlagen Sie Nischen in das Holz, um passgenau andere Bretter hineinzuklinken.
Die Neugier treibt mich irgendwann dazu, die Palmen und Pflanzen des Hotels nach Tieren abzusuchen. Taggeckos gibt es hier reichlich, aber leider sind sie sehr scheu und verschwinden schon bei der kleinsten Bewegung zwischen die Blätter. Und Skolopender soll es hier geben, aber zum Glück treffe ich keinen im gemähten Gras. Etwas später bringen die netten Mädels des Hotels frittierte, sehr leckere Hühnchenteile – und schwupps, sind sie auch schon alle weggegessen. Echt lecker! Danach bequeme ich mich dann auch, unser Häuschen, das Bungalow namens „Ananas“, anzuschauen. Vorher bestelle ich aber noch schnell das Abendessen, denn obwohl wirklich viele Hotelangestellte herumwuseln, klappt in der Küche alles nur sehr langsam. Die „Ananas“ ist ein weißes Steinhaus mit Palmdach – und sieht von innen viel kleiner aus als von außen. Innen ist rechts ein durch eine kopfhohe Steinmauer abgetrennter Badbereich mit Duschwanne, Toilette und einem kleinem Waschbecken samt Spiegel. Zwischen Dach und Steinwand sind Moskitonetze gespannt, aber angesichts der zahllosen Löcher darin sind die wohl eher Schau. Links befindet sich ein Bett samt (dichtem) Moskitonetz, ein großer klobiger Holzschrank und ein kleiner Tisch inkusive Sessel. Die Möbel sind, wie fast alles hier, aus dunklem Tropenholz.
Zum Abendessen gibt es steinharte, trockene Frikadellen mit Pommes. Ich glaube, da wurde ein ganzes Zebu in eine einzige Frikadelle zusammengepresst. Der Crepe au chocolat zum Nachtisch entschädigt jedoch dafür. Ein beiger Hund streunert im Dunkeln um die Terasse. Ich weiß nicht, ob er zum Hotel gehört und als Wachhund fungiert, oder ob er einfach ein Streuner aus der Umgebung ist, der auf ein klein wenig abfallendes Essen hofft. Vielleicht ist er auch beides.
Plötzlich bin ich todmüde. Es ist nicht wirklich spät, aber ich verabschiede mich direkt in mein Bett. Der kühle Wind lässt mich hoffen, dass ich heute Nacht mal wieder richtig gut und erholsam schlafen können werde. Ich gehe erstmal noch schnell auf die Toilette – ein kontrollierender Blick durch den Sanitärbereich versichert mir, dass hier keine unerwünschten Bewohner sein sollten. Leider täusche ich mich da gewaltig. Gerade bin ich mit dem Toilettengang fertig, als ich hinter dem Waschbecken eine mehr als Hand große Spinne entdecke. Ein Riiieeeeenvieh! Die letztes Jahr waren nichts dagegen. Naja, immerhin habe ich diesmal einen Mann im Bungalow, also könnte der sich doch um das Problem kümmern. „Schaaaahaaatz, da ist eine SEHR GROßE Spinne hinter dem Pfosten vom Waschbecken…kannst du die mal wegmachen?“ Tanala bejaht und geht ins Bad. Als nächstes höre ich ein lautes „Ui! Ja, die ist ECHT groß!“ – und lächelnd kommt er, völlig ungerührt, wieder die zwei Stufen aus dem Bad zurück. Na super. Schlussbemerkung: Und zum Erschlagen ist das Riesentierchen einfach viel zu schnell. Viel. Zu. Schnell. Aber zumindest ist sie jetzt außerhalb meiner Sichtweite. Für heute reicht das.